
„Afrika zu einem eigenen politischen Gesicht verhelfen“
Die entwicklungspolitischen Vorstellungen Dirk Niebels
Die Mittel, mit denen große Nichtregierungsorganisationen um Spenden für Entwicklungsprojekte werben, sind in letzter Zeit in die Kritik geraten. Es wird zum Beispiel problematisiert, dass schwarze Menschen auf den Spendenplakaten dieser Organisationen in einer diskriminierenden Art und Weise dargestellt werden. Die mit den Plakaten angesprochenen weißen Menschen erscheinen dagegen als uneigennützige „Helfende“ (s. z.B. die Kritik am „schwarzen Leid und weißer Hilfe“ im Projekt white charity oder beim schwarzweiss-Workshop).
Auf den ersten Blick erscheint die staatliche Entwicklungszusammenarbeit als ein ganz anderes Feld. Eingebettet in die deutsche Außenpolitik und nicht auf Spenden angewiesen, liegt hier eine andere Interessenlage vor. Eine interessante Frage ist aber, ob auch das Bild des „hilfsbedürftigen Anderen“ sich von dem der Nichtregierungsorganisationen unterscheidet.
Der amtierende „Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“, Dirk Niebel, betont die Unterschiede zwischen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Entwicklungszusammenarbeit so scharf, wie keiner seiner Vorgänger. Auf einem Vortrag im Rahmen des „Heidelberger Dialogs zur internationalen Sicherheit“ am 19. Oktober 2012 in Heidelberg sprach der Minister über den Zusammenhang von Entwicklungs– und Sicherheitspolitik.
Seine Argumentation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Entwicklung“ kann nur dort nachhaltig entstehen, wo ein Mindestmaß an Sicherheit und Schutz der Menschenrechte gewährt sind – es bestehe heute ein Konsens, „dass Entwicklung und Sicherheit einander bedingen“. Diesen Zusammenhang erläuterte er am Beispiel fragiler Staaten, wo es weder das eine, noch das andere gäbe. Deswegen seien diese beiden Ziele untrennbar miteinander verbunden. Für die Sicherheitspolitik bedeute dies, dass die Einhaltung der Menschenrechte sowie der Aufbau einer demokratischen Zivilgesellschaft in den betreffenden Regionen die Grundvoraussetzung für internationale Sicherheit seien. Für die Entwicklungspolitik bedeute dies, dass auch der Aufbau von Streitkräften oder privatwirtschaftliche Kooperation in den Blick genommen werden müssen. Die Grundlage für Sicherheit sei gesicherter Wohlstand. Der Minister forderte in diesem Zusammenhang, sich von der „romantischen“ Vorstellung einer uneigennützigen Entwicklungszusammenarbeit zu verabschieden.
Dirk Niebel grenzte sich also vehement gegen ein „romantisches entwicklungspolitisches Verständnis“ ab. Er kritisierte die Idee einer uneigennützigen „Hilfe“ und damit indirekt auch die Rolle individuell durch Spenden „Helfender“, wie sie auf den Spendenplakaten der Nichtregierungsorganisationen angesprochen und gefordert werden. Wenn die Unterschiede auf dieser Seite so eindeutig sind, stellt sich die Frage, ob auch die Darstellung von den Menschen, denen geholfen werden soll, eine andere ist. Tatsächlich betonte der Minister das politische Kalkül afrikanischer Regierungen bei der Abwägung, von welchem Land sie Hilfsgelder annehmen. Er bediente sich aber auch immer wieder dem herkömmlichen Bild des hilfsbedürftigen Anderen in „bettelarmen“ „Entwicklungsländern“ (z.B. Haiti). Was aber darüber hinaus besonders auffällt: Die Rhetorik der Hilfsbedürftigkeit, die oft auch von nichtstaatlichen Entwicklungs-Akteuren verwendet wird, wird im Fall der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit deutlich um den Aspekt der Sicherheit und das eindeutige Labeln von Ländern als Orte der Unsicherheit ergänzt. So sprach Niebel von risikobehafteten, „fragilen Staaten“, wo „Krieg, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen verbreitet sind“, von Ländern mit „missbrauchten Kindersoldaten“ und dem Risiko, dass solche Orte ohne langfristiges deutsches Engagement zu internationalen Drehscheiben des Drogen– und Waffenhandels oder gar zu Rückzugs– und Rekrutierungsgebieten für Terrorismus werden könnten.
Dem von Dirk Niebel in dieser Rede gezeichneten Weltbild kann eine Dichotomisierung der Welt vorgeworfen werden, die durchaus an einen kolonialen Blick erinnert, der den Kooperationsländern des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) eine rückständige, unsichere und „unterentwickelte“ Rolle zuweist, die sich am fortschrittlichen, „entwickelten“ Deutschland auszurichten hat. Erinnerungen an ein solches koloniales Stufendenken werden wach, wenn Niebel betont, man setze im BMZ auf „Evolution – oder zu deutsch: Entwicklung“, wenn er erklärt, Afghanistan nach dem Krieg 2001 sei nicht vergleichbar mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern mit dem Heiligen Römischen Reich Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg oder wenn er darlegt, die Entwicklungszusammenarbeit des BMZ sei dazu da, um Afrika zu einem „eigenen politischen Gesicht“ zu verhelfen.
Trotz der proklamierten Unterschiede zu den „romantischen“ Vorstellungen von Entwicklungspolitik, griff Dirk Niebel also genauso auf „romantische“ Bilder der „hilfsbedürftigen Anderen“ zurück. Diese wurden in dem Vortrag des Ministers – ganz im Stile der zivilgesellschaftlichen Spendenplakate – als passiv, arm, gefährlich und uneigenständig dargestellt. Anstatt ein eigenes Konzept von „Entwicklung“ zu entwerfen, fügte der Politiker den klassischen Dichotomien des Entwicklungsdiskurses lediglich das Gegensatzpaar „sicher – unischer“ hinzu und rechtfertigt damit das wirtschaftliche, politische und militärische Eingreifen Deutschlands in ärmeren Weltregionen.
Jan Diebold, November 2012
Bild: http://politik.in2pic.com