
„Anerkennung und Wiedergutmachung für den Völkermord“
Vortrag und anschließende Diskussion mit Ida Hofmann
Dienstag, 29. Oktober 2013, im Karlstorbahnhof Heidelberg
Bei den Reichstagswahlen 1906/07 wurde auch in Heidelberg ein heftiger Wahlkampf geführt, in dem die stärkste Partei, die Nationalliberalen, mit rassistischen und kolonialromantischen Argumenten für die Fortsetzung der bisherigen Kolonialpolitik des Deutschen Reiches warben. Auslöser für die Neuwahlen war damals die deutsche Kriegsführung in der damaligen Kolonie „Deutsch-Südwest“ (heutiges Namibia), bei der die deutschen Truppen hauptsächlich Mitglieder der dort lebenden Gruppen der Herero und Nama auf grausame Weise töteten.
Während auf namibischer Seite regelmäßig den kolonialen Ereignissen gedacht wird und die Folgen der deutschen Kolonialgewalt bis heute die namibische Politik prägen, ist das Thema gute 100 Jahre später eine Lücke im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und so auch in Heidelberg. Mit dem Besuch von Ida Hofmann, Vorsitzende des ´Nama Genocide Technical Committee´, früher aktiv im Befreiungskampf Namibias und von 2005–2010 Mitglied der dortigen Nationalversammlung, soll an diesem Abend die gemeinsame Kolonialgeschichte Deutschlands und Namibias thematisiert und der kolonialen Amnesie ein wenig Abhilfe geschaffen werden. Nach München, Berlin und Bochum wirbt sie nun auch hier für eine „Anerkennung des deutschen Genozids in Namibia“. Nach einigen einleitenden Worten von den Veranstaltern von KASA(Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika) und schwarzweiss beginnt Ida Hofmann ihren Vortrag: Auch heute würden viele Deutsche nach Swakopmund und Lüderitz (Städte in Namibia) kommen — in Erinnerung an die „guten alten Tagen“, als diese noch Teil der deutschen Kolonie waren oder sie würden diese Städte sogar als „Klein-Deutschland“ bezeichnen. Dann richtet Ida Hofmann die rhetorische Frage ans Publikum: „Ist das die angemessene Form über Swakopmund zu sprechen?“ Städte, in denen vor über 100 Jahren noch Konzentrationslager bestanden, um auch die letzten Überlebenden ihres Volkes zusammenzupferchen. Städte, in denen die Frauen die Schädel von Männern ihres Volkes, von Verwandten, von ihren Kindern kochen und damit für angeblich wissenschaftliche Zwecke in Deutschland aufbereiten mussten. Städte, die vor allem eins wurden: ein Friedhof der Herero und Nama.
Mit drastischen Beschreibungen aber in melancholischer, geradezu poetischer Weise trägt Ida Hofmann all die Grausamkeiten vor, welche an den Herero und Nama von den Deutschen begangen wurden. Nun sei es an der Zeit, dass auch die deutsche Regierung endlich den Genozid an ihrem Volk anerkenne, Wiedergutmachung und Reparationszahlungen leiste. Denn heute seien Herero und Nama die ärmsten Gruppen in Namibia, litten Hunger und Durst. Stattdessen sei die einzige Reaktion der deutschen Regierung bisher, den Genozid totzuschweigen und auf das Schweigen von Herero und Nama zu hoffen. Doch auf Dauer seien diese Verbrechen nicht zu verbergen – sie würden nicht nachgeben, was auch immer es kosten mag.
Neugierig richten im Anschluss an Ida Hofmanns Vortrag viele der Zuhörer_innen ihre Fragen an sie. Ein Thema dabei ist der Eklat um die Schädelrückgabe im Jahr 2011, bei der die Bundesregierung abermals zeigte, dass es nicht in ihrem Interesse liegt, den Völkermord anzuerkennen. Die daraus resultierende Enttäuschung und Wut sei auch in der namibischen Presse deutlich zu spüren gewesen.
Mehr als 100 Jahre nach dem grausamen Krieg im heutigen Namibia sind die Folgen bei den Nachfahren der Herero und Nama noch immer zu spüren. In Deutschland dagegen herrscht auf diesem Gebiet Geschichtsvergessenheit und Schweigen vor. Dieser Abend war ein erster kleiner Schritt in eine andere Richtung.
Die Rede von Ida Hofmann als Audio File (Vortrag in Freiburg 30.10.2013) ist hier zu hören: http://www.freiburg-postkolonial.de/mp3/2013–10-30-ida_hofmann_vortrag.mp3
Matthias Sucker, November 2013