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Der Abge­sang auf die Hel­le­nen: Von Pleite-Griechen, Betrug und deut­schen Zahlmeistern

Die momen­tane grie­chi­sche Schul­den­krise fin­det in der deut­schen Pres­se­land­schaft große Auf­merk­sam­keit. Jedoch geht es nur vor­der­grün­dig um die Beschrei­bung der aktu­el­len Pro­bleme oder eine kon­struk­tive Lösungs­su­che, viel­mehr wer­den anti-griechische Res­sen­ti­ments bedient.

Vor dem Hin­ter­grund der sehr freund­schaft­li­chen Bezie­hun­gen zwi­schen Nach­kriegs­deutsch­land und –grie­chen­land ist dies zunächst ver­wun­der­lich. Bei­spiels­weise dien­ten die DDR und die BRD wäh­rend der Obris­ten­dik­ta­tur 1967–1974 den grie­chi­schen Intel­lek­tu­el­len und poli­ti­schen Flücht­lin­gen als Exil und auch die grie­chi­schen Gast­ar­bei­ter tru­gen zu einer deutsch-griechischen Annä­he­rung bei. Doch anschei­nend ist das kul­tu­relle und wirt­schaft­li­che Gras, das über die his­to­ri­schen Wun­den gewach­sen ist, noch nicht dicht genug.

Wäh­rend der Schul­den­krise reg­ten sich auf grie­chi­scher Seite Stim­men, wel­che die unver­ar­bei­tete Geschichte der grau­sa­men deut­schen Besat­zung im Zwei­ten Welt­krieg anpran­ger­ten. Offen­bar erin­nerte die Hal­tung der deut­schen Presse an eine als domi­nant und arro­gant wahr­ge­nom­mene Macht­fülle Deutschlands.

Der Arti­kel, der den Grie­chen dabei am meis­ten auf­stieß, erschien in der Focus-Ausgabe vom 22.02.2010 unter dem Titel „2000 Jahre Nie­der­gang. Von der Wiege Euro­pas zum Hin­ter­hof Euro­pas: Grie­chen­lands Abstieg ist bei­spiel­los.“ Der Autor bean­spruchte, das „wahre“ Bild der grie­chi­schen Kul­tur zu skizzieren.

Den heu­ti­gen Grie­chen gesteht er nicht zu, Abkömm­linge jener ehr­ba­ren Hel­le­nen der Antike zu sein, wel­che der euro­päi­schen Kul­tur die Demo­kra­tie, die Phi­lo­so­phie und die Per­fek­tion der Kunst brach­ten. Er zitiert den Ori­en­ta­lis­ten Jakob Phil­ipp Fall­me­r­ayer (1790–1861) mit den Wor­ten: „Kein Trop­fen des alten Hel­den­blu­tes fließt unge­mischt in den Adern der jet­zi­gen Neu­grie­chen“. Die aktu­elle Kul­tur besitze keine bedeu­tende Per­sön­lich­keit und Athen, die Wiege der Demo­kra­tie, sei ver­kom­me­nen zu einem „stin­ken­den Moloch“.

Der gän­gi­gen öffent­li­chen Mei­nung fol­gend sind die Grie­chen auf­grund ihrer Men­ta­li­tät selbst schuld an ihrer Misere: „Beste­chung, Kor­rup­tion und Steu­er­hin­ter­zie­hung sind den Grie­chen offen­sicht­lich in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen.“ heißt es im besag­ten Focus-Artikel. Der deut­sche Bou­le­vard in Form der Bild schließt sich die­ser Mei­nung an: „Was die Grie­chen ein­fach nicht wahr­ha­ben wol­len: Sie leben seit Jah­ren mei­len­weit über ihre Ver­hält­nisse.“ und „(s)tatt sich am Rie­men zu rei­ßen, leg­ten die Grie­chen ihr Land ges­tern mit einem Gene­ral­streik lahm“. Der ein­hel­li­gen öffent­li­chen deut­schen Mei­nung fol­gend wür­den die „Pleite-Griechen“ „lügen“, „trick­sen“, „ver­schlei­ern“, „wild“ spe­ku­lie­ren, „dreist“ Europa auf der Nase herum tan­zen, „am Tropf der ande­ren Euro-Länder hän­gen“, eine „miese Zah­lungs­mo­ral“ auf­zei­gen und sich Hilfe „erschlei­chen“. Ihnen wird im Gegen­satz zu ande­ren euro­päi­schen Staa­ten ein „qua­li­ta­ti­ver Unter­schied“ unter­stellt, „denn im Gegen­satz zu vie­len ande­ren Län­dern der Euro-Zone ist Grie­chen­land von der Rezes­sion kaum getrof­fen worden.“

Betrach­tet man die hie­sige Bericht­er­stat­tung, drängt sich das Gefühl auf, die deut­schen Bür­ger seien die Haupt­leid­tra­gen­den der finan­zi­el­len Krise der Grie­chen. Da gehen „pöbelnde Pleite-Griechen auf Deutsch­land los“, der grie­chi­sche Minis­ter­prä­si­dent „Papan­d­reou droht“ und es wer­den Bil­der von Grie­chen­land als einem „ein­zi­gen Abgrund“ oder einem „Virus“ gezeich­net. Pas­send dazu star­tete die Bild die Umfrage: „Sol­len die Pleite-Griechen raus aus der EU?“.

Es schlos­sen sich zwar nicht alle deut­schen Zei­tun­gen den kli­schee­be­la­de­nen „Südländer“-Bildern der kon­ser­va­ti­ven Zei­tun­gen und Maga­zi­nen an, doch gehö­ren Letz­tere zu den auf­la­gen­stärks­ten und mei­nungs­bil­den­den Blättern.

Phil­mon Ghir­mai, Jan Die­bold, Caro­line Autha­ler, Juni 2010