Zeichnung Corinna Assmann

Die Inva­sion der grü­nen Schreihälse

Neu­lich in Hei­del­berg.
Per­son 1: „Habt Ihr das gese­hen? Da sind die schon wie­der. Die kom­men stäään­dig hier her.“
Per­son 2: „Oh mann, ja die! Man kann nicht mehr an den Haupt­bahn­hof, ohne sie zu tref­fen. Und wie laut die immer sind.“
Per­son 1: „Da, hast Du gese­hen, wie aggres­siv der die Klei­nen da drü­ben ange­gan­gen ist? Der hat denen doch glatt das Essen gemopst!“
Per­son 2: „Ich hab gehört, dass die jetzt umge­sie­delt wer­den sol­len – es gibt da wohl so spe­zi­elle Unter­künfte für die, damit die hier nicht alles kaputt machen.“
Per­son 3: „Also ich find sie eigent­lich ganz schön. Die brin­gen hier doch etwas Farbe her.“
Per­son 1: „Ja,  schon, aber das sind jetzt schon so viele, die haben fast den hal­ben Hei­del­ber­ger Wes­ten ein­ge­nom­men. Und das Pro­blem ist: sie ver­drän­gen unsere Alt­ein­ge­ses­se­nen! Eine regel­rechte Über­frem­dung ist das. Die gehö­ren eben ein­fach nicht hier her.“

Die­ses Gespräch fand nicht etwa am NPD– oder Pegida-Stammtisch statt, son­dern in gemüt­li­cher Kaf­fee­runde im Gar­ten eines Cafés in Hei­del­berg. Anstoß der Auf­re­gung waren die vie­len grü­nen Hals­band­sit­ti­che im Neu­en­hei­mer Feld, die erst­mals in den 1970ern aus Käfi­gen ent­flo­gen waren, sich bald in der gesam­ten Rhein-Neckar-Region ver­brei­te­ten und die aus dem Hei­del­ber­ger Stadt– bzw. Baum­bild nicht mehr weg­zu­den­ken sind. Ursprüng­lich stam­men die Hals­band­sit­ti­che aus Indien. In Deutsch­land wer­den ca. 8 500 von ihnen ver­mu­tet; sie bevor­zu­gen das wär­mere Mikro­klima in Städ­ten wie Hei­del­berg, Wies­ba­den, Köln, Bonn und Düs­sel­dorf. Auch in Groß­bri­tan­nien leben ca. 30 000 der grü­nen Sit­ti­che in Städ­ten wie z.B. in London.

Sittiche2

Wie wird über Hals­band­sit­ti­che in Deutsch­land gesprochen?

Wäh­rend sich an den meis­ten Café-Tischen in einer Uni­ver­si­täts­stadt wie Hei­del­berg zumin­dest um eine poli­tisch kor­rekte Spra­che zum Thema mensch­li­che Immi­gra­tion bemüht wird, erin­nern die Äuße­run­gen in sol­chen Sittich-Dialogen oder Zei­tungs­ar­ti­keln jedoch eher an Flug­blät­ter so man­cher rechts­ori­en­tier­ter Par­tei; das Voka­bu­lar klingt mehr nach mili­tä­ri­schem Jar­gon als nach Beschrei­bung städ­ti­scher Papa­gei­en­grup­pen. Von der „Inva­sion der grü­nen Papa­geien“ (Pompl in SZ 11.01.12) und den „Sittiche[n] auf dem Vor­marsch“ (Neue Rund­schau 03/2010) ist da die Rede, die nicht nur in Begriff seien, eine süd­deut­sche Klein­stadt, son­dern schon bald ganz Deutsch­land zu „erobern“ (Pack­ei­ser in Die Welt 20.09.07). Auch die BBC-Doku „The Great Bri­tish Para­keet Inva­sion“ ver­wen­det diese mili­tä­ri­sche Bild­spra­che: das Video bedient mit grü­nen bri­ti­schen Som­mer­land­schaf­ten, Ten­nis­plät­zen und Fish-and-Chips-essenden Kin­dern klas­si­sche bri­ti­sche Ste­reo­type, die mit har­mo­ni­scher Musik unter­malt wer­den; schließ­lich wer­den diese abrupt musi­ka­lisch und bild­lich unter­bro­chen: „If you’d expect the typi­cal Lon­don bird to be a pigeon or per­haps a raven – then think again. Because para­keets are alive and well in sub­ur­bia“.  Die Sit­ti­che seien zwar schön bunt und im Win­ter in lee­ren Bäu­men sehens­werte Farb­tup­fer, aller­dings frä­ßen sie in Lon­don wie in Hei­del­berg Pflan­zen­knos­pen, zer­stör­ten Obst­bäume und nis­te­ten allzu gerne in der Wär­me­däm­mung von Gebäu­den. So inva­siv und stö­rend wer­den die „exo­ti­schen Schrei­hälse“ gar von man­chen Men­schen wahr­ge­nom­men, dass sie offe­nen Angrif­fen aus­ge­setzt sind. Zen­tra­ler Treff­punkt der Sit­ti­che sind soge­nannte Schlaf­bäume, an denen der ganze Schwarm näch­tigt. Nach­dem über einen sol­chen Sittich-Schlafbaum in Hes­sen berich­tet wurde, ver­üb­ten Unbe­kannte einen Anschlag mit Feu­er­werks­kör­pern und Leucht­mu­ni­tion auf die Vögel (Die Welt 20.09.07).

Ob es nun um grüne Hals­band­sit­ti­che oder die berüch­tig­ten Grau­hörn­chen aus den USA geht, die auf „Feld­zug“ durch Europa unter­wegs sind, wie in der Welt (Pack­ei­ser, 14.02.07) hier bild­haft beschrie­ben wird: „Unsere roten, buschi­gen Eich­hörn­chen wer­den es nicht mehr lange bei uns aus­hal­ten. Eine andere, graue Rasse wird sie ver­drän­gen. Die gro­ßen Grau­hörn­chen stam­men aus den USA, und in Ita­lien haben sie sich schon breit­ge­macht“. Café-Gespräche über Sit­ti­che und Eich­hörn­chen lesen sich wie eine Para­bel über Iden­ti­tät und Abgren­zung, über Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung. In den Sittich-Dialogen wird zunächst betont, die Vögel seien bunt und schön, sie leuch­te­ten so ganz anders als graue Groß­stadt­tau­ben. Den „ein­hei­mi­schen“ Vögeln ent­ge­gen­ge­setzt fal­len sie auf durch ihre Anders­ar­tig­keit. Sie seien nicht grau oder braun, son­dern leuch­tend grün, sie gur­ren nicht, sie krei­schen. Sie erre­gen also Auf­merk­sam­keit durch Exo­tik und wer­den als Gegen­bild der „alt­ein­ge­ses­se­nen“ Vögel als das Spe­zi­elle, das Andere, das Fremde kon­stru­iert.

Bei aller ihrer bun­ten Exo­tik, bräch­ten die „inva­si­ven“ Sit­ti­che oder Eich­hörn­chen aber auch Bedro­hung: sie fühl­ten sich so wohl, dass sie sich wei­ter aus­brei­ten („They may be com­ing soon to a gar­den near you“, BBC2) und so seien diese „frem­den“ inva­si­ven Arten auch aggres­siv oder gar gefähr­lich, da sie „unsere“ schüch­ter­nen „ein­hei­mi­schen“ Vögel bzw. Eich­hörn­chen ver­drän­gen wür­den, die ja hier bei uns das natür­li­che Ursprungs­recht hät­ten. Anspie­lun­gen auf die Inte­gra­tion (SZ 11.01.12) und Ein­bür­ge­rung (Süd­west Presse 01.02.11) der Sit­ti­che las­sen Erin­ne­run­gen an mensch­li­che Immi­gra­ti­ons­de­bat­ten wach wer­den. Wäh­rend das Bun­des­amt für Natur­schutz, das sich durch das „Über­ein­kom­men über die Bio­lo­gi­sche Viel­falt“ ver­pflich­tet hat, „Vor­sorge gegen gebiets­fremde und inva­sive Arten zu tref­fen“ (BfN 201) die Sit­ti­che bis­her als „poten­ti­ell inva­siv“ ein­stuft und unter Beob­ach­tung stellt, schlägt der Öko­loge Wolf­gang Nent­wig (Unheim­li­che Erobe­rer: Inva­sive Pflan­zen und Tiere in Europa, 2011) sogar die Eli­mi­nie­rung der Hals­band­sit­ti­che durch Erschie­ßen oder Ver­gif­ten vor.

Bei den Debat­ten um die Sit­ti­che fällt auf, dass die Bei­träge dazu stark emo­tio­nal geprägt und die „Lösungs­vor­schläge“ teil­weise sehr radi­kal sind. So wird die Anders­ar­tig­keit der „frem­den“ Sit­ti­che zum Argu­ment für ihre Bekämp­fung erho­ben. Fast scheint es, als wür­den auf die grü­nen Vögel gene­relle Ängste vor Über­frem­dung und Iden­ti­täts­ver­lust in einer glo­ba­li­sier­ten Welt pro­ji­ziert und so klas­si­sche ras­sis­ti­sche Vor­ur­teile in Form von Spe­zie­sis­mus wie­der salon­fä­hig in die Café-Tisch-Diskussionen so man­cher Groß­stadt eingebracht.

Diana Grie­sin­ger, Mai 2015

Illus­tra­tion: Corinna Assmann