
Entwicklungsexperten, Empowerment, Nachhaltigkeit und Partizipation
Ein Blick auf die alltägliche Sprache der professionellen Entwicklungszusammenarbeit
Wenn ich Entwicklungshilfe höre, denke ich automatisch an Brunnen, Schulen und Straßenbauprojekte und Entwicklungshelfer_innen. Die sind dann doch diejenigen, die diese Projekte helfen umzusetzen, oder?
Diese Begriffe sind nicht so unschuldig, wie sie sich zuerst anhören und das nicht nur, weil die Projekte nicht immer so positiv laufen wie geplant. Deswegen werde ich in diesem Artikel die alltägliche Sprache der Menschen in der professionellen Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands unter die Lupe nehmen.
Ich möchte zuerst die Begriffe beleuchten und kurz zeigen, dass sich schon in den Bezeichnungen für die ‚Profis‘ ein Machtgefälle widerspiegelt. Im zweiten Schritt möchte ich darstellen, wie sich dieses Machtgefälle alle Jahre wieder im Schreiben von Anträgen für die Finanzierung von Projekten reproduziert..
Wer früher Entwicklungshelfer_in hieß, wird nun beispielsweise in der giz, der größten deutschen Durchführungsorganisation in der Entwicklungszusammenarbeit, Entwicklungsexpert*in genannt. Der Begriff „Entwicklungsexpertin“ vermittelt das Gefühl, die Person, die aus Deutschland entsandt wird sei fachkundig Person und eine der besten auf ihrem Gebiet. Ein Anspruch, der vielleicht schwer aufrecht zu erhalten, aber doch prinzipiell zu begrüßen ist. Es wäre ja unfair, wenn wir unsere besten Leute denjenigen vorenthalten würden, mit denen wir kooperieren, nicht wahr? Der Gegenpart zur Entwicklungsexpert_in ist die lokale Fachkraft. Die Entwicklungsexpert_in wird aus Deutschland entsandt. Die lokale Fachkraft wird lokal angestellt. Die Löhne sind entsprechend unterschiedlich, meistens gibt es einen deutlichen Unterschied.
Erst im Kontrast zur Bezeichnung für ihre Mitarbeiter_innen wird klar, welches ungleiche, an Nationen gebundene Spiel hinter dem Anspruch steckt, gemeinsam für Entwicklung zu arbeiten.Fachkräfte sind zwar keine „ungebildeten Primitiven“, sie verstehen etwas von ihrem Fach. Expert*innen sind sie aber nicht. Augenhöhe sieht anders aus, selbst sprachlich.
Warum sind Menschen des globalen Nordens Expert_innen für Prozesse des Alltags im globalen Süden? Egal ob ähnliche oder ganz andere Prozesse, nämlich Entwicklung, im globalen Norden auch stattfinden, die Expert_innen wären eigentlich Lernende. Es muss also ein Rahmen geschaffen werden, der sie trotzdem als Expert_innen darstellt. Dieser Rahmen ist das System der Entwicklungstheorien, innerhalb dessen das Wissen der lokalen Fachkräfte herabgestuft wird.
Dieses Ungleichgewicht beschränkt sich übrigens nicht nur auf Personen und Organisationen. Es spiegelt sich auch in der täglichen Praxis der Organisationen vor Ort, die letztendlich die Projekte durchführen, wider. Die meisten Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit finanzieren ihre Projekte nicht primär aus Spenden. Sie sind auf Projektmittel angewiesen, die sie anwerben müssen. Hierfür ist es erforderlich Anträge zu schreiben, die oft von schönen Modeworten nur so strotzen, um ihre Initiativen gut zu verkaufen. Eines dieser Worte ist Empowerment, was in etwa so viel wie Stärkung oder Ermächtigung bedeutet und Teil des Titels des dritten Millenium Development Goals („Promote gender equality and empower women“) ist. Die Anträge bereiten gleichzeitig die Rechenschaftsberichte im Sinne der „accountability“ vor. Problematisch wird das bei Graswurzelinitiativen, auf die Empowerment gerade abzuzielen scheint. Erwächst dort Ermächtigung daraus, einen offensichtlich Mächtigeren um Geld zu bitten? Im Antrag muss begründet werden, was die Leute vor Ort mit dem Projekt erreichen wollen. Sie müssen rechtfertigen, warum das auch im Interesse der geldgebenden Organisation ist. Für diese Rechtfertigung werden oft die Schlagworte benutzt benutzt. Wir sprechen also noch nicht einmal über die Fälle, in denen bevormundend einfach ein Projekt gestartet und dann erst die Betroffenen konsultiert werden oder über die Fälle, in denen Empowerment bereits bestehende Machtgefälle verstärkt. Das gleiche System, das Empowerment ermöglichen will, führt also den Graswurzelbewegten immer wieder vor Augen, dass der entscheidende Beitrag das Geld war. Ohne das Geld sind sie machtlos.
Empowerment ist bei weitem nicht das einzige einflussreiche Modewort, das mit solchen Widersprüchen beladen ist. Die Begriffe, die besondere Konjunktur in diesen Anträgen hatten, haben sich im Laufe der Jahre gewandelt. Ein weiteres Schlagwort wäre Nachhaltigkeit. Es fällt besonders auf, dass die Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Praxis schwammig gestaltet ist. Was soll erhalten werden? Soll das Projekt sich selbst tragen können oder soll die Natur nicht beeinträchtigt werden? Soll eine nachhaltige Veränderung in der Gesellschaft erreicht werden oder soll ein status quo erhalten bleiben? Gerade die ungenaue Definition in Verbindung mit den positiven Assoziationen des Wortes machen es quasi unangreifbar und damit ideal geeignet für einen Antrag. Gleichzeitig wird es dadurch schwieriger, eine Verständigung über die konkreten Ziele eines Projekts vor Ort mit der lokalen Bevölkerung zu erreichen. Konflikte werden kaschiert, denn alle Akteure müssen ja für Nachhaltigkeit sein. Ein differenzierterer Blick fehlt oft, auch aufgrund von sogenannten Sachzwängen.
Zu guter Letzt noch zum Schlagwort „Partizipation“: Robert Chambers und Michael Cernea, die als Ethnologen bei der Weltbank arbeiteten, machten diesen Begriff groß. Amartya Sen hatte ihn zuvor (1970) schon aus philosophischer und ökonomischer Perspektive ausgearbeitet. „Partizipation“ löst eine Abkehr von den Top-down Ansätzen der 1970er und frühen 1980er Jahre aus. Im Kontext der Anträge wird damit meist nicht schlicht kollektives Handeln gemeint. Dabei wird vorausgesetzt, dass von außen, also durch eine Organisation eingegriffen werden muss. Kollektives Handeln ohne organisatorischen Rahmen, z.B. auf Dorfebene kann nicht zählen, da zum einen Nichtregierungsorganisationen oftmals keinen Platz darin haben. Sie müssen sich aber gegenüber den Geldgebenden als zentrale Akteure darstellen. Zum anderen kann Partizipation, sofern sie in einen Antrag geschrieben werden muss, nur ein Feigenblatt sein. Die Ziele werden von außen herangetragen und von den Herantragenden schon als allgemeingültig betrachtet. Eine gemeinsame Entscheidung ist damit schon erheblich eingeschränkt.
Es lässt sich aber eine Dynamik erkennen: Sprache und Praxis wirken aufeinander ein. Beide zeigen an, wie stark Entwicklungszusammenarbeit in den mächtigen institutionellen Strukturen des globalen Nordens gefangen ist.
Benedict Mette, November 2012
Praktische Beispiele sowie die Schlagwörter finden sich u.a. in:
Bourdier, Frédéric 2008. Indigenous Populations in a Cultural Perspective. The Paradox of Development in Southeast Asia. In Anthropos 103: 355–366.
Pupavac, Vanessa 2006. Humanitarian Politics and the Rise of Disaster Psychology. In: Reyes, Gilbert und Jacobs, Gerard A. (Hrsg.): Handbook of International Disaster Psychology. Fundamentals and Overview. Westport: Praeger, 15–34
Für die Antragsprozesse und die Organisationen des globalen Nordens siehe:
Sangmeister, Hartmut und Schönstedt, Alexa 2010. Entwicklungszusammenarbeit im 21. Jahrhundert. Ein Überblick. Nomos: Baden-Baden.