
Entwicklungshilfe abschaffen! Es geht um die Würde des Menschen
Was passiert, wenn ein honduranischer katholischer Bischof, ein marxistischer Wirtschaftswissenschaftler und ein europäischer Entwicklungspolitiker über die Frage debattieren „Ist Entwicklungshilfe sinnvoll?“. Die Debatte würde um die üblichen Themen kreisen: Erhöhung der europäischen Entwicklungshilfe, Entschuldung, Konditionalitäten etc., säße da nicht auch der kenianische Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des ostafrikanischen „Inter Region Economic Network“ (IREN) James Shikwati auf dem Podium. Er plädierte auf dem Ökomenischen Kirchentag, der vom 12.-16. Mai 2010 in München stattfand, für die Abschaffung der Entwicklungshilfe, da sie die Würde vieler AfrikanerInnen untergrabe. „Wenn Hilfe die Menschenwürde verletzt, hört sie auf, Hilfe zu sein“ erklärt Shikwati. Sie würde gar ins Gegenteil verkehrt und hemme unternehmerische Kreativität, da Sie die Fähigkeiten der betroffenen Menschen ignoriere. „Wenn sogenannte Experten in Europa entscheiden, was für AfrikanerInnen gut ist, werden Menschen, in den Entwicklungsländern, regelmäßig zu unmündigen Objekten degradiert.“
Themen der Nord-Süd-Gerechtigkeit waren auf dem Ökumenischen Kirchentag prominent vertreten. Die Mehrzahl der BesucherInnen interessierte sich denn auch dafür, wie eine humanere Welt möglich sei.
Keiner der Podiumsteilnehmer ging auf Shikwatis Argumente ein. Wollten sie nicht oder verstanden sie ihn nicht? Sie führten vielmehr eine Diskussion unter sich darüber, was die EuropäerInnen besser machen können. Der marxistische Ökonom Jean Ziegler forderte eine Erhöhung der staatlichen Entwicklungshilfen, der katholische Bischof Rodriguez Maradiga lobte die umfangreiche Hilfe für Haiti und Eckhard Deutscher, Vorsitzender des Entwicklungsausschusses der OECD, forderte mehr Leistungsbewusstsein auf Seiten der Afrikaner. Niemand fragte danach, was Afrikaner wollen oder welche Konzepte in Afrika entwickelt werden. Denn das Ziel, die Entwicklung Afrikas, schien bereits klar zu sein. Über den Inhalt von Entwicklung wurde nicht diskutiert, nur über das „wieviel“ und „wie schnell“. Einzig Shikwati machte seine Vorstellungen explizit. Entwicklung bedeute, kreativ Ideen für das eigene Lebensumfeld zu entwickeln, mit Respekt vor der Geschichte und der jeweiligen Kultur.
Shikwati klagte nicht die europäischen ZuhörerInnen im Saal an, sondern appellierte an sie, von den Entwicklungshilfewerken zu fordern, die Folgen ihrer Hilfe aufzudecken, wie etwa die Schäden für Textil– und Agrarmärkte infolge gut gemeinter Kleiderspenden oder billiger EU-Agrar-Exporte. Besonders betonte er aber die kulturellen Wirkungen der Entwicklungshilfe und die· daraus resultierende Wahrnehmung zwischen EuropäerInnen und AfrikanerInnen. Durch regelmäßige Geldflüsse von Nord nach Süd zu Bedingungen des Nordens verfestige sich unter AfrikanerInnen ein Bewusstsein, dass sie ohne das Zutun der EuropäerInnen keine Projekte umsetzen und nichts eigenes entwickeln können. Auf der europäischen Seite würde die Vorstellung eines elendigen afrikanischen Kontinents zementiert und· den jungen EuropäerInnen in „Freiwilligenprojekten“ der Status von EntwicklungsexpertInnen eingeräumt.
Shikwatis Thesen waren für die Mehrzahl der ZuhörerInnen offensichtlich ungewohnt und neu. Einige Nachfragen zielten lediglich darauf, dass er seine Ausführungen· wiederholen solle. So die immer wieder kehrende Frage, was Einzelne denn konkret für die Entwicklungsländer tun können. Von Verunsicherung zeugte auch die Publikumsfrage, ob Shikwati auch die kirchliche Entwicklungshilfe in seine Kritik mit einbeziehe. Offensichtlich rüttelte der Wirtschaftswissenschaftler an vorherrschenden Überzeugungen und an den einfachen Rezepten, wie Gutes zu tun sei.
Das Publikum verließ den Saal mit vielen Fragen. Einzig die „Experten“ auf dem Podium schienen nicht ins Grübeln gekommen zu sein.
Caroline Authaler, 2010
Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:James_Shikwati_at_TEDGlobal_2007_detail.jpg