
Transnationalmannschaft — Der Mannheimer „Jungbusch“ als Idealfall?
Filmvorführung und Diskussion im Romanischen Keller (23.11.2011)
Der Romanische Keller platzte aus allen Nähten. Etwa 100 Filminteressierte waren der Einladung von schwarzweiss gefolgt, den Film „Transnationalmannschaft“ von Philipp Kohl zu sehen und zu diskutieren. Obwohl Philipp Kohl zwei Tage später seine vorletzte Prüfung an der Universität ablegen würde, war er gekommen, um dem Publikum im Anschluss an den Film Rede und Antwort zu stehen.
Die Gruppe schwarzweiss wollte anhand der Filmvorführung Grenzen innerhalb von Städten thematisieren und diskutieren, welche Wirkungen diese Grenzziehungen auf die Identitäten der BewohnerInnen haben. Grenzen zwischen sozialen und kulturellen Gruppen gestalten sich in Mannheim ganz anders als etwa in Heidelberg. Das Mannheimer Stadtviertel Jungbusch gilt — auch im Jungbusch selbst — als Beispiel, bei dem viele kulturelle und soziale Grenzen durchlässiger erscheinen.
Bereits während der Fußballweltmeisterschaft 2006 erlebte der Regisseur Philipp Kohl, der seit sieben Jahren im Jungbusch wohnt, eine außergewöhnliche Stimmung. Die WM habe er als einmaliges Ereignis erlebt, bei dem die BewohnerInnen ihre unterschiedlichen kulturellen Identitäten durch vielfältige Flaggen und Zeichen ausdrückten. Die Kultur der Verschiedenheit und Toleranz im Stadtviertel, die Kohl im Alltag erlebt, sei im Sommer 2006 verstärkt sichtbar geworden. Daraus entstand die Idee, den Mikrokosmos Jungbusch während der nächsten WM künstlerisch zu verarbeiten.
Der Dokumentarfilm ist ein lebensfrohes Dokument der Vielfalt im Jungbusch und eine Hommage an die facettenreichen dort lebenden Menschen. Die Kamera folgt BewohnerInnenn in ihrem Alltag: vom Gemischtwarenhändler über den fußballvernarrten Schüler bis zur Polizistin. Der rote Faden ist dabei die „transnationale“ deutsche Nationalmannschaft, die mit Spielern wie Özil, Cacau etc ein Bild der deutschen Gesellschaft transportiert, mit dem sich die BewohnerInnen des Jungbusch identifizieren können. Spiegelbildlich zum Team auf dem Rasen fängt der Film das transnationale Team in den Büros und Geschäften des Jungbusch ein. In Gesprächen mit ihnen werden schillernde und komplexe Identitäten sichtbar: Während die migrantischen DarstellerInnen detailliert ihre multiplen nationalen Identitäten erklären, scheint die Frage nach der Heimat ganz einfach zu beantworten: Mannheim. Vielleicht auch, weil sie damit den Pauschalzuschreibungen wie „Türke“ oder „Deutscher“ entkommen können? Die Stadt Mannheim wird damit zu einem Raum jenseits der nationalen Kategorien, ein Raum, der es seinen BewohnerInnen ermöglicht, ihre vielen Identitätsfragmente zu vereinen: Mannheim als transnationaler Ort.
Im Gespräch wies der Regisseur darauf hin, dass solche pauschalen Zuschreibungen von außen dennoch die Selbstwahrnehmung der jungen Menschen stark beeinflussen. Gefühlte kulturelle Unterschiede sind deshalb im Jungbusch auch weiterhin vorhanden. Der Respekt vor der Andersartigkeit der Nachbarn mache aber die Besonderheit des Jungbusch aus, die die BewohnerInnen so schätzen.
In der weiteren Diskussion wurde überlegt, inwiefern der Jungbusch repräsentativ für andere migrantisch geprägte Viertel in Deutschland sei bzw. ein Vorbild für diese sein könne. Im Gegensatz zu anderen Vierteln besteht hier weniger Gefahr vor Gentrifizierung. Stattdessen hätten die BewohnerInnen die Gegend in den vergangenen 15 Jahren selbst derart aufgewertet und in die Hand genommen, dass Jungbusch und die angrenzende Filsbach dank ihrer vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten inzwischen zum multikulturellen Einkaufszentrum der Region Rhein-Neckar aufgestiegen seien. Da viele Händler oft selbst Eigentümer ihrer Häuser sind, sind plötzliche Sanierung und Erhöhung der Mieten — wie derzeit etwa in Berlin Kreuzberg zu beobachten ist — unwahrscheinlich. Insofern sei der Jungbusch durchaus ein Einzelfall mit Vorbildcharakter.
Neben wichtigen Fragen und Erkenntnissen zu den vielfältigen Identitäten von Menschen mit Migrationshintergrund und dem Leben in einem multikulturellen Stadtteil gesellte sich die Erkenntnis, dass eine solch harmonische Vielfalt nur historisch wachsen kann. Bezüglich Konzeption und Gestaltung von Integration und bestimmten Stadtvierteln können andere Städte viel von Mannheim lernen, doch die Einmaligkeit des Jungbusch und seiner Bewohner ist zu großen Stücken der Stadtgeschichte zu verdanken.
Wir danken dem Ausländer– und Migrationsrat Heidelberg für die Unterstützung dieser Veranstaltung.
Caroline Authaler und Friederike Faust, November 2011
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