
Geschichte als Motor der Entwicklung
Heutzutage wird Geschichte als die Kenntnis der Vergangenheit begriffen, auf der Grundlage von mündlichen, schriftlichen, bildlichen, archäologischen elektronischen etc Quellen. Es geht nicht nur darum, die Vergangenheit zu rekonstruieren, sondern auch darum, die Vergangenheit zu kennen, um die Gegenwart besser zu verstehen und die Zukunft gestalten zu können. Deshalb· ist die Kenntnis der Geschichte eines Volkes wichtig für seine Zukunft. In einem Land ist die Geschichte unverzichtbar für die moralische und staatsbürgerliche Bildung der Individuen. Anders gesagt ist sie die Basis des Patriotismus eines Landes das sie uns die Liebe, den Glauben an unser Heimatland lehrt. Sie lehrt den Sinn für Toleranz, bildet für die Verantwortungen der Gegenwart, entwickelt das Gefühl von Solidarität und den Respekt vor der Wahrheit. Deshalb sagt Walter Galvani in seinem Buch « Von der Kenntnis der Geschichte »· « die Geschichte scheint wie eine Pädagogik, das Übungsfeld und Instrument unserer Freiheit » Daher, «ermögliche das historische Bewusstsein eine wahrhaftige Katharsis, eine Befreiung unseres soziologischen Unbewussten ein wenig analog zu dem, das auf der psychologischen Ebene die Psycholanalyse zu erreichen sucht […] » Man kann also verstehen, dass die „entwickelten“ Länder dem Wissen über ihre Geschichte einen besonderen Platz/ zentrale Bedeutung zusprechen. Zudem sind sie sehr genau (méticuleux
50 Jahre nach den Unabhängigkeiten, sehen wir, dass in den meisten afrikanischen Staaten ein Bruch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart besteht. Wir beobachten bei der jungen generation eine (große) Unwissenheit bezüglich der Geschichte Afrikas und der einzelnen Staaten. Der Grund dafür ist der Lehrplan im Fach Geschichte, (der den jungen Afrikanern nicht ermöglicht, (in der Schule) ein vertieftes Wissen ihrer Vergangenheit zu erlangen. Betrachtet man Struktur und Inhalt der aktuellen Lehrpläne in den meisten Ländern des Kontinents, gewinnt man den Eindruck, wir befänden uns in einem kolonialen System, das in keinem Verhältnis zu dem steht, was die jungen Afrikaner 50 Jahre nach den Unabhängigkeiten über ihre Geschichte wissen müssen. Das Beispiel Kamerun illustriert die ganze Breite des Problems: Auf der allgemeinen weiterführenden Schule in Kamerun sieht der Lehrplan der 6.klasse (entspricht etwa unserer 5.klasse) 174 Schulstunden Geschichte vor, wobei für die Geschichte Kameruns nur 27 stunden reserviert sind, das sind etwa 15 %. Im folgenden Schuljahr (la section observation) sind es ganze 2 stunden von 49, was 4% ausmacht. Und im darauffolgenden Jahr 10 von 49 Geschichtsstunden, etwa 20, 4 %. wenn nun ein Schüler nach der 9. klasse (1er cycle en classe de 3e)· verlässt, hat er über die nötigen Kenntnisse über die Geschichte seines eigenen Landes· nicht gelernt. Bedenkt man nun, dass die Rate der Schulabgänger nach der 9. klasse sehr hoch ist, wird die Unwissenheit über die kamerunische Geschichte verständlich. Die Mehrheit der Schüler verlässt die schule ohne etwas von den Unabhängikeitskämpfern gehört zu haben. Die Folge ist eine Krise des Patriotismus und der Identität in unserem Land.
In der Oberstufe ist die Situation nicht viel besser, da hier insgesamt nur 76 Stunden Geschichte unterrichtet werden, wovon nur 15 über Kamerun gehen, das sind knapp 20 %. Was aber schlimmer ist, ist dass die Geschichte der Dekolonisierung erst in der Abschlussklasse unterrichtet wird und dazu noch sehr oberflächlich. Wie wollen wir denn ein zukunftsfähiges Kamerun aufbauen und gleichzeitig verhindern dass den Kamerunern unterrichtet wird, was die Basis des Glaubens an dieses Land sein soll? Die Basis für einen gesunden Patriotismus? Um die Identitätskrise, die Wertekrise, die Arbeitskrise und die moralische zu überwinden, die heute in Afrika herrscht, müssen die Afrikaner mit ihrer Geschichte versöhnt werden. Ein afrikanisches Sprichwort sagt: : «Wenn D nicht weißt, wohin du gehst, drehe dich um und suche, woher du kommst». Diese Arbeit des sich selbst in frage stellen muss Afrika heute beginnen, um seinen Weg zu finden.
Dieses Jahr, das an die Unabhängigkeit vor 50 Jahren in Afrika und in Kamerun erinnert, sollte eine Gelegenheit sein, um diejenigen zu erinnern, die· als Märtyrer für die Unabhängigkeit gestorben sind. Diese Frage der Unwissenheit der Geschichte ist der Ursprung vieler Probleme des Kontinents· wie etwa die Verfolgung individueller Interessen zuungunsten des Gemeinwohls, die Korruption, die schlechte Regierungsführung, die Hinterziehung von öffentlichen Geldern etc. betrachtet man die Geschichte als die Basis eines gesunden Patriotismus und als Motor von Entwicklung, dann kann sie enorm viel dazu beitragen, diese Epidemien zurückzudrängen. Aber eine Reform des Geschichtsunterrichts Aber eine Reform des Geschichtsunterrichts in Afrika ist nicht nur unumgänglich, sondern die politische Macht müsste auch der Kenntnis der Geschichte (durch die Bevölkerung) des Landes und des Kontinents mehr Bedeutung beimessen. Das ist die Bedingung dafür, dass wir in einigen Jahren integere und patriotische Menschen haben. Denn sie wird uns von den Schwerfälligkeiten befreien, die uns am Vorankommen hindern und wird das „Instrument unserer Freiheit“ sein.
Arnaud Tetchou, Gymnasiallehrer, Edea (Kamerun), Oktober 2010
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