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Gro­wing toge­ther“ — EU-Identität durch Abgren­zung und Fremdbilder

Dass poli­ti­sche und kul­tu­relle Iden­ti­tä­ten kon­stru­iert wer­den, also dass wir nicht als Deut­scher oder Fran­zose auf die Welt kom­men, ist eine Bin­sen­weis­heit der Kul­tur­wis­sen­schaf­ten. Eine sol­che Kon­struk­tion kann sich aus vie­len Quel­len spei­sen. Der neue Wer­be­clip der EU zu den anste­hen­den Erwei­te­run­gen hat die gif­tigste gewählt: Iden­ti­tät durch Abgren­zung und Fremdbil­der. Doch worum geht es?

Eine große, attrak­tive Frau in einem „Kill Bill“ Out­fit durch­schrei­tet eine leere Lager­halle. Plötz­lich wird sie von drei Angrei­fern bedroht: ein Chi­nese, ein Inder und ein Bra­si­lia­ner, die Kampf­künste ihrer jewei­li­gen Regio­nen prak­ti­zie­ren. Kon­fron­tiert mit den Angrei­fern ver­fiel­fäl­tigt sich die junge Frau und schließt die Angrei­fer in einem Ring von elf Dupli­ka­ten ein, wor­auf­hin sich diese erge­ben. Die Kamera schwenkt und zoomt raus. Die zwölf Frauen erge­ben die zwölf gel­ben Sterne der EU-Fahne. Der Spot endet mit dem Spruch „The more we are, the stron­ger we are“.

Der Clip ent­stand im Rah­men einer Wer­be­kam­pa­gne zu den anste­hen­den EU-Erweiterungen, die von der EU bis 2020 mit 14 Mrd. € vor­an­ge­trie­ben wird. Unter dem Motto „Gro­wing toge­ther“ soll die nega­tive Ein­stel­lung zur EU und einer wei­te­ren Erwei­te­rung, die in vie­len euro­päi­schen Staa­ten zu beob­ach­ten ist, posi­tiv ent­ge­gen gewirkt wer­den. Es wur­den dafür bis­her zwei kurze Clips pro­du­ziert. Der erste, hier bespro­chene im mar­tial arts Stil.

Der zweite beschränkt sich auf klas­si­sche Wer­be­bil­der, die die kul­tu­rel­len Gemein­sam­kei­ten zwi­schen den Län­dern der Euro­päi­schen Union und der Antrags­stel­ler in den Fokus neh­men. Wäh­rend also der zweite Clip auf innere Fak­to­ren schaut, warum die Staa­ten in die EU auf­ge­nom­men wer­den sol­len, führt der erste Clip äußere Fak­to­ren an: Bedro­hun­gen durch ein­fluss­rei­che Wirt­schafts­mächte ver­lan­gen Einig­keit inner­halb der EU.

Die drei Angrei­fer sym­bo­li­sie­ren hier­bei die auf­stre­ben­den Staa­ten in Asien (Kung-Fu), dem mitt­le­ren Osten (Kala­ri­pa­yattu, eine indi­sche Kampf­kunst) und Süd­ame­rika (Capoeira). Die Bild­spra­che des Clips geht aber dar­über hin­aus. Die weiße Frau tritt als Ver­kör­pe­rung der EU und der dahin­ter­ste­hen­den Ideen und Welt­an­schau­un­gen auf. Sie fügt sich damit in eine über 3000jährige Geschichte der Per­so­ni­fi­ka­tion „Euro­pas“ als Frau.

Die Kunst­ge­schichte zeigt hier­bei, dass Ideen und Ideale bevor­zugt femi­nin per­so­ni­fi­ziert wer­den, was in der grie­chi­schen Mytho­lo­gie sei­nen Rück­halt fin­det (z. B. Nike, Jus­ti­tia, die Musen): Man denke hier­bei nur an Delacroixs berühm­tes Bild „Die Frei­heit führt das Volk“ (La Liberté gui­dant le peu­ple). Die Ange­grif­fene fügt sich in die­ses Bild. Sie sieht sich einer anschei­nend aus­weg­lo­sen Bedro­hungs­si­tua­tion gegen­über und ent­spricht dem über­zeich­ne­ten, „west­li­chen“ Bild einer per­fek­ten Frau: jung, groß, attrak­tiv und weiß.

Die Bild­spra­che des Clips lässt dem Zuschauer kei­nen Spiel­raum für eine selbst­stän­dige Ein­schät­zung der Situa­tion, son­dern ist in sei­ner Aus­sage ein­deu­tig: sie ist das ‚Opfer‘ unge­recht­fer­tig­ter Aggres­sion; wir müs­sen ihr bei­ste­hen und ihre Seite ergrei­fen! Die Angrei­fer dage­gen sind gera­dezu über­la­den mit kul­tu­rel­len Sym­bo­len und stel­len im Grunde nichts ande­res als euro­päi­sche Ima­gi­na­tio­nen fremd­län­di­scher Exo­tik dar. Jeder ent­spricht in Kör­perhal­tung, Sta­tur, Klei­dung und Auf­tre­ten den in der euro­päi­schen Geis­tes­ge­schichte ver­brei­te­ten Ste­reo­ty­pen. So der „Schwarze“, der mit mus­kel­be­pack­ten freien Ober­kör­per, Kraft, Stärke und eine gewisse „Wildheit“ aus­drückt; der „Ori­en­tale“, der mit Tur­ban und Kaf­tan beklei­det sowie mit Krumm­sä­bel aus­ge­stat­tet, einen Abgrund schwe­bend über­brückt und der „Asiate“, eine kahl­köp­fige Mischung aus bud­dhis­ti­schem Mönch und Bruce Lee. Dies sind keine Cha­rak­te­ris­tika, die den jewei­li­gen Kampf­küns­ten eigen wären, die die Angrei­fer reprä­sen­tie­ren sol­len (Kung Fu, Kala­ri­pa­yattu, Capoeira), son­dern sie ent­spre­chen der west­li­chen Typi­sie­rung außer­eu­ro­päi­scher Kulturen.

Dies spie­gelt nicht nur euro­päi­sche Wahr­neh­mun­gen außer­eu­ro­päi­scher Kul­tu­ren wie­der, son­dern ist auch auf­schluss­reich für das Selbst­ver­ständ­nis der poli­ti­schen Insti­tu­tio­nen der EU und in einem wei­te­ren Sinne von Euro­pä­ern. Die Frau als Per­so­ni­fi­ka­tion die­ses Selbst­bil­des ist dabei kul­tu­rell nicht unbe­stimmt. Wäh­rend die Angrei­fer „tra­di­tio­nelle“ Klei­dung für ihre Regio­nen tra­gen, trägt die Frau einen Over­all aus dem Film „Kill Bill“ – eine Hol­ly­wood Pro­duk­tion von Quen­tin Taran­tino. Hier wird also eine Zuge­hö­rig­keit bzw. kul­tu­relle Nähe zu den USA her­ge­stellt. Aller­dings – und das ist ent­schei­dend – nicht in einem über­trie­be­nen Sinne. Sie bie­tet trotz­dem eine offene und inter­pre­ta­ti­ons­freu­dige Iden­ti­fi­ka­ti­ons­flä­che für den Zuschauer, in der sich jeder in der „west­li­chen Welt“ wie­der­fin­den kann. Würde sie ein Dirndl tra­gen, wäre dies nicht der Fall. Im Gegen­satz dazu reprä­sen­tie­ren die drei Angrei­fer hoch­gra­dig auf­ge­la­dene und vor allem abge­schlos­sene Feind­bil­der. Mit ihnen ist keine Iden­ti­fi­ka­tion mög­lich. Sie sind „fremd“, „exo­tisch“ und bedroh­lich. Der Clip gibt damit klare Bil­der, wer in die­ses neue Europa gehört und wer nicht; er zeigt auf, wo Gren­zen lie­gen. Und er tut dies nicht über die außer­eu­ro­päi­schen Kampf­tech­ni­ken, son­dern er macht dies vor allem an dem Äuße­rem der Angrei­fer fest. Was nichts ande­res heißt als: die ver­meint­li­che, in der Klei­dung gespie­gelte Kul­tur und vor allem die Haut­farbe.

Es ist ein Kampf „Weiße“ gegen „Far­bige“. Hier­mit zemen­tiert die EU ein Bild von ihrer Bevöl­ke­rung, das nicht nur ras­sis­tisch ist, son­dern auch nicht der Lebens­rea­li­tät vie­ler Staa­ten ent­spricht. Der Gedanke, die Euro­päi­sche Union als Schmelz­tie­gel der Kul­tu­ren und Lebens­wei­sen zu sehen, der offen ist für jeden und der gerade aus der Viel­falt seine Stärke zieht, wird abge­tan für eine ein­fa­che ingroup — out­group Dicho­to­mie. Mitt­ler­weile wurde der Clip offi­zi­ell zurück­ge­zo­gen. Ste­fano San­nino, Lei­ter der Gene­ral­di­rek­tion Erwei­te­rung der Euro­päi­schen Kom­mis­sion, hat sich in einem State­ment ent­sw­chul­digt, falls sich Zuschauer von dem Spot gekränkt gefühlt haben: „The clip was abso­lu­tely not inten­ded to be racist.“ Er sollte sich viel­mehr an eine junge Zuschau­er­schaft wen­den (16–24), die mit den übli­chen The­men des mar­tial arts Films ver­traut seien. Falls San­nino dies ernst meint, wirft es ein noch erschüt­tern­dern­des Bild auf die Gedan­ken­welt hin­ter dem Clip. Immer­hin unter­stellt San­nino damit, dass Ras­sis­mus und zuge­spitzte Ste­reo­type eine unhin­ter­fragte Selbst­ver­ständ­lich­keit für junge Euro­päer seien und man die­sen geleb­ten Ras­sis­mus ledig­lich bediene.

Der kurze Wer­be­clip der EU ist nicht nur ras­sis­tisch son­dern er sagt uns auch viel über poli­ti­sche Iden­ti­tät in der EU und wie man ver­sucht, diese zu gene­rie­ren. Die bei­den Wer­be­spots sind dabei zwei Sei­ten einer Medaille. Nach innen wer­den die kul­tu­rel­len Gemein­sam­kei­ten betont. Die gemein­sa­men Wur­zeln. Eine ‚Ein­heit in der Viel­falt‘. Doch diese Viel­falt hat Gren­zen. Sowohl ganz kon­kret um Europa herum und von Fron­tex bewacht als auch in den Köp­fen von Euro­pä­ern. Denn von außen ist Europa umringt von Fein­den, die eines gemein­sam haben: Sie sind nicht weiß und nicht Teil unse­rer Kul­tur. Sie sind bedroh­lich. Sie sind „die Ande­ren“, „die Fremden“.

Mar­cus Podew­ski für schwarz­weiss (2012)