Hybrid

hy|brid [zu Hybride] (bes. Fachspr.): aus Ver­schie­den­ar­ti­gem zusam­men­ge­setzt, von zwei­er­lei Her­kunft; gemischt; zwit­ter­haft: –e Bil­dun­gen, Kom­po­sita (Sprachw.; Bil­dun­gen, Kom­po­sita, deren Teile ver­schie­de­nen Spra­chen ange­hö­ren, z. B. Auto-mobil [griech.; lat.]); –e Züch­tung (Biol.; Hybridzüchtung).

Im Zuge der Auf­klä­rung eta­blier­ten sich die moder­nen Natur­wis­sen­schaf­ten als Erklä­rungs­mo­dell für natür­li­che Phä­no­mene und Zusam­men­hänge. For­schende einte das Bestre­ben, die Natur empi­risch zu erklä­ren und zu klas­si­fi­zie­ren. Vor dem Hin­ter­grund kolo­nia­ler Dis­kurse des 19. Jahr­hun­derts wur­den Ideen wie Dar­wins Evo­lu­ti­ons­theo­rie oder die Pflan­zen– und Tier­sys­te­ma­tik Carl von Lin­nés auf die kul­tu­relle Welt der Men­schen über­tra­gen und diese dadurch bio­lo­gi­siert. Hierzu gehörte auch das Kon­zept der Hybri­di­tät: Ein Begriff aus der Pflan­zen– und Tier­züch­tung, der vor allem von der Kolo­ni­al­me­di­zin über­nom­men und auf Men­schen, als „Misch­linge“ bezeich­net, ange­wen­det wurde. Damit ver­bun­den war eine nega­tive Wer­tung als „ras­sisch minderwertig“.

Eine neue Sinn­zu­schrei­bung erfuhr der Begriff durch den ame­ri­ka­ni­schen Sozio­lo­gen Robert E. Park in der ers­ten Hälfte des 20. Jahr­hun­derts. Durch seine Arbei­ten, in denen er in den USA lebende Migran­tIn­nen aus Europa als Men­schen zwi­schen zwei Kul­tu­ren beschrieb, löste er den Ter­mi­nus aus sei­nem ursprüng­lich natur­wis­sen­schaft­li­chen Kon­text und führte ihn als Ana­ly­se­ka­te­go­rie in die Kul­tur­wis­sen­schaf­ten ein. Dort wurde er vor allem seit den 1990er Jah­ren von post­ko­lo­nia­len Theo­re­ti­ke­rIn­nen wie Homi Bhabha, Gaya­tri Spi­vak und Paul Gil­roy auf­ge­nom­men und zu einem Kon­zept ent­wi­ckelt, um die Dyna­mik und den Aus­tausch zwi­schen ver­schie­de­nen Kul­tu­ren zu beschrei­ben. „Kul­tu­ren sind nie­mals in sich ein­heit­lich, und sie sind auch nie ein­fach dua­lis­tisch in ihrer Bezie­hung des Selbst zum Ande­ren“, schreibt Bhabha 1994. Hybri­di­tät galt ihm und ande­ren dabei als Ergeb­nis eines Aus­hand­lungs­pro­zes­ses von Iden­ti­tä­ten in Aus­ein­an­der­set­zung mit ver­schie­de­nen kul­tu­rel­len Bezü­gen. Dabei ent­stün­den nicht ein­fach nur Misch­for­men son­dern neue Identitäten.

Hier ist beson­ders die Denk­fi­gur des „Drit­ten Raums“ bedeut­sam. Kul­tu­ren, Natio­nen oder Gemein­schaf­ten defi­nie­ren sich und andere über die sinn– und legi­ti­ma­ti­ons­stif­ten­den Kate­go­rien (geo­gra­phi­scher) Raum und (his­to­ri­sche) Zeit. „Europa“ wird etwa als his­to­risch gewach­sen und geo­gra­phisch ver­ort­bar kon­zi­piert. Das macht es leicht, die „Ande­ren“ aus Europa hin­aus­zu­de­fi­nie­ren, an die Peri­phe­rie zu rücken und hier­ar­chisch abzu­wer­ten. Wenn die­ser her­me­ti­sche Raum auf­bricht – etwa durch die Ver­schie­bung oder Öff­nung von Gren­zen – ent­steht ein „Drit­ter Raum“. In ihm kön­nen Hier­ar­chien fes­ter Iden­ti­tä­ten wie­der neu ver­han­delt wer­den. Das post­ko­lo­niale Kon­zept von Hybri­di­tät will keine ein­fa­chen Erklä­run­gen geben son­dern pro­ble­ma­ti­sie­ren. Iden­ti­tät, Kul­tur, Eth­ni­zi­tät oder Nation sol­len nicht län­ger als ein­deu­tig ein– und abgrenz­bare Kate­go­rien gedacht wer­den. Viel­mehr wird betont, dass sie als ste­tig wan­del­bar und durch­läs­sig gedacht wer­den soll­ten, um Pau­scha­li­sie­rung und unge­recht­fer­tig­ter Ver­ein­fa­chung ent­ge­gen­zu­wir­ken und der kom­ple­xen Rea­li­tät Rech­nung zu tragen.

Mitt­ler­weile gilt das Kon­zept Hybri­di­tät, wie es die frü­hen post­ko­lo­nia­len Theo­re­ti­ke­rIn­nen zunächst ver­stan­den haben – als genui­nes Merk­mal post­ko­lo­nia­ler und migran­ti­scher Iden­ti­tä­ten – als über­holt. Kri­ti­ke­rIn­nen füh­ren an, dass es letzt­lich doch eine indi­rekte Unter­schei­dung zwi­schen hybri­den und „ursprüng­li­chen“ Iden­ti­tä­ten vor­nehme, deren Besei­ti­gung sich die Post­ko­lo­nia­len Stu­dien eigent­lich auf die Fah­nen geschrie­ben haben, und damit ent­ge­gen eige­nem Anspruch essen­tia­lis­tisch sei. Neuere Theo­rien über Iden­ti­tä­ten und deren Ent­ste­hung legen nahe, dass Iden­ti­tä­ten immer in Abgren­zung oder Iden­ti­fi­ka­tion mit ver­schie­de­nen Grup­pen ent­ste­hen und es „ursprüng­li­che“ Iden­ti­tä­ten in dem Sinne nicht geben kann. „Das Eigene“ und „das Andere“ ent­ste­hen nicht unab­hän­gig­son­dern in einem gemein­sa­men Pro­zess von Selbst– und Fremdzuschrei­bun­gen.

Kul­tur– und Geschichts­wis­sen­schaf­ten bele­gen zudem, dass auch Kul­tu­ren nie iso­liert und unab­hän­gig exis­tiert haben, son­dern sich schon immer gegen­sei­tig beein­fluss­ten. Diese Aus­tausch­pro­zesse haben sich in der gegen­wär­ti­gen glo­ba­li­sier­ten Welt, in der alle Men­schen stän­dig unter­schied­li­chen kul­tu­rel­len Ein­flüs­sen aus­ge­setzt sind, ver­dich­tet, aus­ge­dehnt und ver­mehrt. Dem­nach sind und waren alle Iden­ti­tä­ten zwangs­läu­fig hybrid. Hybri­di­tät ist also ein inhä­ren­tes Merk­mal aller Kul­tu­ren und Iden­ti­tä­ten und ver­liert dadurch sei­nen ana­ly­ti­schen Wert. Dies legt die Vor­stel­lung vom „glo­ba­len Dorf“ (Mar­shall McLu­han 1964) nahe, in dem sich jeder Mensch frei von gesell­schaft­li­chen Vor­ga­ben selbst defi­nie­ren und dabei aus einem glo­ba­len Ange­bot gewis­ser­ma­ßen à la carte eine eigene Iden­ti­tät bas­teln kann. Hier­bei ist Vor­sicht vor einer allzu har­mo­ni­sie­ren­den Sicht­weise gebo­ten, die beste­hende Ungleich­hei­ten und Macht­be­zie­hun­gen ver­schlei­ert. Nicht alle Men­schen ver­fü­gen über die glei­chen Mög­lich­kei­ten, an dem „glo­ba­len Kul­tur­menü“ an mate­ri­el­len und imma­te­ri­el­len Gütern, Ideen und Sym­bo­len teil­zu­ha­ben. Zudem blei­ben essen­tia­lis­ti­sche Selbst– und Fremd­zu­schrei­bun­gen jen­seits des Elfen­bein­turms wei­ter­hin wir­kungs­mäch­tig und sta­bi­li­sie­ren Herr­schafts­be­zie­hun­gen in der all­täg­li­chen sozia­len und poli­ti­schen Pra­xis. Zu den­ken ist dabei nicht nur an „ferne“ Bei­spiele, wie afri­ka­ni­sche Migran­tIn­nen, die gewalt­sam an der Über­schrei­tung der euro­päi­schen Grenze gehin­dert wer­den. Son­dern auch an all­täg­li­che Prak­ti­ken, deren Macht­me­cha­nis­men wir selbst nur sel­ten wahr­neh­men – selbst dann, wenn sie unsere eig­nen Iden­ti­tä­ten betref­fen. So sind bei­spiels­weise Geschlecht, Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit, Haut­farbe oder nur der eigene Dia­lekt auch in der Stadt am Neckar rele­vante Fak­to­ren für die Ver­tei­lung von Bil­dungs– und Auf­stiegs­chan­cen. Mar­gi­na­li­sie­run­gen und Aus­gren­zungs­pro­zesse exis­tie­ren wei­ter­hin, auf glo­ba­ler ebenso wie auf regio­na­ler Ebene.

Chris­tiane Bür­ger, Frie­de­rike Faust und Caro­lin Lie­bisch
April 2012