Laufgadgets

Ich laufe, also bin ich“, sagte die Macht

Heute Mor­gen kam ich vom Jog­gen zurück Ich wollte inter­es­se­hal­ber wis­sen, wie lange eigent­lich die Runde ist, die ich seit eini­gen Jah­ren regel­mä­ßig laufe. Auf einer inter­ak­ti­ven Karte im Inter­net konnte ich die Stre­cke Pi mal Dau­men nach­mes­sen und ich run­dete wohl­wol­lend noch um ein paar hun­dert Meter auf. Eine Lauf-App hin­ge­gen hätte das auf den Meter genau berech­net. Und nicht nur das, sie hätte mir auch ver­ra­ten kön­nen, wie viele Minu­ten ich für die Stre­cke benö­tigte, mit wel­cher Durch­schnitts­ge­schwin­dig­keit ich lief und wie viele Kalo­rien ich dabei ver­braucht hätte. Mes­sen, über­prü­fen, aus­wer­ten – das sind die typi­schen Instru­mente den Kör­per mit­tels Sport zu dis­zi­pli­nie­ren.

DIE ZÄH­MUNG DER KÖRPER

Was aller­dings bis vor eini­ger Zeit allein im Leis­tungs­sport üblich war, macht sich nun immer mehr im Frei­zeit­sport breit. Puls­uh­ren ver­ra­ten uns unsere opti­male Lauf­ge­schwin­dig­keit, Schritt­zäh­ler stel­len sicher, dass wir tag­täg­lich unsere Fit­ness erhal­ten und ver­bes­sern, und der Mini-Computer am Stadt­rad sorgt für das Lance-Armstrong-Feeling wäh­rend der täg­li­chen Fortbewegung.

Michel Fou­cault bezeich­nete diese Form der Macht­aus­übung, die sich auf das Leben und die Regu­lie­rung des indi­vi­du­el­len wie des Gesell­schafts­kör­pers bezieht, „Bio-Macht“. Im Ver­gleich zu sei­nem edlen Kon­ter­part, dem Geiste, galt der Kör­per kul­tur­his­to­risch betrach­tet als Ort des Emo­tio­na­len, Flei­schi­gen, Wol­lüs­ti­gen, des Unbe­re­chen– und Undurch­dring­ba­ren – spä­tes­tens seit Des­car­tes’ Dua­lis­mus die Phi­lo­so­phie des soge­nann­ten Abend­lan­des prägte. Die neuen Tech­no­lo­gien räu­men damit auf, sie mes­sen was unbe­re­chen­bar war, sie ratio­na­li­sie­ren, was vor­her affek­tiv bestimmt war, sie kate­go­ri­sie­ren und dis­zi­pli­nie­ren, was vor­her wider­spens­tig war.

Der Kör­per wird damit zu einer bere­chen­ba­ren Größe. Einer Größe, die ver­gli­chen und mit durch­kal­ku­lier­ten Trai­nings­stra­te­gien fast unein­ge­schränkt model­liert und opti­miert wer­den kann.

ÜBER­WA­CHEN UND STRAFEN

Meine inter­ak­tive Karte zeigt mir eine Kilo­me­ter­zahl im obe­ren ein­stel­li­gen Bereich an. „Gar nicht so schlecht“, denke ich. Aber ein­stel­lig ist nicht zwei­stel­lig. Nach oben ist immer noch Raum. Ver­bes­se­rung und Leis­tungs­stre­ben schlei­chen so aus dem Berufs– und Stu­di­en­le­ben nach und nach auch in die hin­ters­ten Ecken unse­rer täg­li­chen Frei­zeit und in die kleins­ten Details unse­rer kör­per­li­chen Bewe­gun­gen ein. Die Lauf-App macht das expli­zit: „Du bist 0,64 km wei­ter und 0’10″/km schnel­ler gerannt als der Durch­schnitt dei­ner letz­ten 7 Läufe!“.

Das Maß mei­ner Spor­t­ein­heit rich­tet sich nicht län­ger nach mei­nem eige­nen Befin­den, einem zie­pen­den Knie oder einem plötz­li­chen Ener­gie­schub, son­dern allein nach einer exter­nen digi­ta­len Zah­len­an­zeige. Fou­cault würde sich, „welch Mikro­phy­sik der Macht!“ seuf­zend, im Grabe umdrehen.

Sollte sich der alt­mo­di­sche innere Schwei­ne­hund immer noch unbe­ein­druckt der Tech­nik zei­gen, so knickt er garan­tiert vor der öffent­li­chen Demü­ti­gung ein. Denn längst bil­den sich um diese Tech­no­lo­gien kleine Com­mu­nities, seien es reale Lauf­treffs oder Online-Plattformen, wo so gleich die Ergeb­nisse ver­öf­fent­licht, Rang­lis­ten erstellt und die Lauf­rou­ten visua­li­siert werden.

Zu sehr erin­nert dies an Fou­caults Pan­op­ti­kum, die stän­dige Über­wa­chung des Men­schen, die schließ­lich zu einer Inter­na­li­sie­rung der Macht führt, so dass die­ser die Macht als eige­nen Wil­len zu erken­nen glaubt. Ver­birgt sich hin­ter die­sen Mecha­nis­men der (Selbst)Disziplinierung nicht viel­leicht eine gesell­schaft­lich ver­brei­tete Norm vom schö­nen, sport­li­chen und fit­ten Kör­per? Einem Kör­per, wie geschaf­fen für den post­for­dis­ti­schen Kapi­ta­lis­mus und die neo­li­be­rale Arbeits­welt. Ich laufe, also bin ich: leis­tungs­ori­en­tiert, hoch­fle­xi­bel und ambitioniert.

SPORT ALS WARE

Die Wahl­ver­wandt­schaft von Sport­lich­keit und kapi­ta­lis­ti­scher Ver­wert­bar­keit beschränkt sich jedoch nicht allein auf die kör­per­li­che Dis­zi­pli­nie­rung durch Trai­nings, Mes­sun­gen oder Diä­ten. Hin­ter all die­sen Hilfs­mit­teln zur Leis­tungs­stei­ge­rung ver­ber­gen sich nicht sel­ten große Sport­ar­ti­kel­her­stel­ler. Nach­dem ich meine Ergeb­nisse online gestellt habe, lockt sogleich der But­ton zum Kauf der neus­ten Lauf­schuhe, denn das hab ich mir jetzt schließ­lich ver­dient. Sport­lich­keit ist nun nicht mehr nur mess­bar, sie ist auch kauf­bar. Mal ehr­lich, sehen meine Waden in der engen schwar­zen Hose nicht gleich viel defi­nier­ter aus? Durch die graue, schlabb­rige Jog­ging­hose waren sie schließ­lich kaum zu erken­nen. Und, wie sport­lich wirke ich im aus­ge­wa­sche­nen T-Shirt mei­ner Lieb­lings­band, wenn meine Mus­keln doch im neon-farbenen, haut­en­gen Top viel bes­ser zur Gel­tung kommen?

Dabei geht es nicht nur darum Sport zu trei­ben, son­dern Sport­lich­keit zu ver­kör­pern, auch über die eigent­li­che Akti­vi­tät hin­aus. Der Euro­päi­sche Eth­no­loge Wolf­gang Kaschuba beschreibt, wie Spor­ti­vi­tät zu einem Wert an sich wurde. Gal­ten noch vor weni­gen Jah­ren die grauen, klo­bi­gen Jog­ging­tre­ter in Fuß­gän­ger­zo­nen und Cafés als ästhe­ti­sche Umwelt­ver­schmut­zung, so sind die knall­bun­ten Lauf­schuhe der Gegen­wart Ein­lass­ga­rant für Dorf­dis­kos wie Szene­clubs. Das­selbe gilt – bei einem etwas ande­ren Kli­en­tel – für Outdoor-Ausrüstung, Segel-Mode oder Skate-Bekleidung.

Klei­der machen Leute, in die­sem Falle machen Klei­der Leute sport­lich, ohne dass sie sicht­bar Sport trei­ben. Spor­ti­vi­tät wird als Ware kon­su­mier– und aneigbar.

UND NOCH MAL: ÜBERWACHUNG

Na klar, die Sport­ar­ti­kel­her­stel­ler freuen sich, wenn wir, um unser spor­ti­ves Selbst­bild stän­dig auf den neus­ten Stand zu brin­gen, ihre Pro­dukte kon­su­mie­ren. Die Apps, Moti­va­ti­ons­arm­bän­der und Smart­wat­ches kön­nen aber noch viel mehr, als nur Opti­mie­rungs– und Kon­sum­wün­sche zu wecken. Sie sam­meln Daten. Mal abge­se­hen von den Gefah­ren die dadurch ent­ste­hen, wenn mir völ­lig unbe­kannte Men­schen in Online-Netzwerken beob­ach­ten kön­nen, dass ich mit hoher Wahr­schein­lich­keit jeden Diens­tag in der Abend­däm­me­rung alleine durch den Wald laufe, so gebe ich noch wei­tere intime Dinge wie Kalo­ri­en­ver­brauch und per­sön­li­che Bewe­gungs­mus­ter frei­wil­lig preis. Nor­ma­ler­weise erhal­ten Men­schen, die sich an Expe­ri­men­ten der Markt­for­schung betei­lig­ten, Auf­wands­ent­schä­di­gun­gen dafür. Hier funk­tio­niert es genau umge­kehrt, um zwar gleich dop­pelt: Ich zahle für den Erwerb der oft nicht güns­ti­gen Gad­gets, um dar­auf­hin meine Daten kos­ten­frei zur Ver­fü­gung zu stel­len. Dank mei­ner – unent­gelt­li­chen – Mit­hilfe kön­nen so Mar­ke­ting­stra­te­gien minu­tiös ange­passt und immer neue Pro­dukte ent­wi­ckelt und bewor­ben wer­den. Jene Pro­dukte, von denen die Her­stel­ler­fir­men bereist wis­sen, dass ich sie bedarf, noch bevor ich glä­serne Läu­fe­rin die­ses Bedürf­nis in mir selbst ent­de­cken konnte.

Es ist die Foucault´sche Macht, hier mani­fes­tiert in den Sportartikelhersteller*innen, die uns an Hals– par­don, Arm­bän­dern und Smart­wat­ches, hams­ter­r­ad­ähn­lich, immer mehr und immer schnel­ler, Runde um Runde lau­fen lässt und dabei die Illu­sion schafft, als frei­wil­lige Unternehmer*innen unse­rer Selbst ein bes­se­res Ich zu werden.

Ich laufe also bin ich. Viel­leicht sollte es schlicht und ein­fach wie­der hei­ßen: Ich laufe, also laufe ich. Und sonst nichts.

von Frie­de­rike Faust, Novem­ber 2014