
Integration und ihre Helden
Vortrag von Rüstü Aslandur, Vorsitzender des Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe am 8.11.2011 in Heidelberg
„Weiter so!“ ist die ermutigende Botschaft von Rüstü Alsandur an die Muslimische Studierendengemeinschaft Heidelberg und andere muslimische Jugendliche und junge Erwachsene. In seinem Vortrag „Muslimische Jugendliche – zwischen Ablehnung und Anerkennung“, der im Rahmen der zweiten Islamwoche von der Muslimischen Studierendengemeinschaft organisiert wurde, hob Aslandur die herausragenden Leistungen vieler junger MuslimInnen in Deutschland hervor.
Der Referent ließ bei seiner Lobrede an die junge Generation von MuslimInnen in Deutschland auch seine eigene Geschichte einfließen. Als Kind türkischer Einwanderer kann er die konfliktreiche Situation, in der sich viele muslimische Jugendliche – zumeist selbst mit Migrationshintergrund – befinden, gut nachvollziehen.
Aslandur verwies auf das Spannungsfeld, in dem sich muslimische Jugendliche in Deutschland befänden: Zum einen die Erwartungen der muslimischen Elternhäuser und zum anderen die Anforderungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Er identifizierte unterschiedliche Bereiche, in denen sich die Ansprüche beider Seiten häufig zuwiderliefen und die deshalb für die Jugendlichen mit Konflikten verbunden seien:
Ein verbreitetes Problem, das sich aus der gegensätzlichen Erwartungssituation ergebe, sei die „doppelte Halbsprachigkeit“ vieler muslimischer Jugendlicher. Während die Eltern auf den Erwerb der Muttersprache bestünden, erfordere die Teilhabe an der Gesellschaft deutsche Sprachfähigkeit. Dies führe nicht selten dazu, dass weder die eine noch die andere Sprache eloquent beherrscht werde. Ähnliches gelte für Werte und Normen. Während die Elterngeneration eine Respektierung traditioneller Werte und religiöser Vorstellungen fordere, verlange die Gesellschaft von den Jugendlichen eine Anpassung an hiesige Werte. Dieses Spannungsverhältnis, so Aslandur, ließe sich nur durch einen Zwischenweg bewältigen, der von den Jugendlichen ein Hinterfragen von Traditionen und eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Religion erfordere. Sie müssten den Islam auf seine Vereinbarkeit mit dem deutschen Alltag hin neu entdecken und so eine eigene Identität als muslimische Deutsche entwickeln, die ihnen islamische Religiosität jenseits der elterlichen Tradition und den deutschen Assimilationsanforderungen ermögliche.
Weitere große Spannungsfelder sieht Aslandur in den Bereichen Bildung und gesellschaftliche Teilhabe. Viele Eltern wünschten sich von ihren Kindern, dass diese gute Schulleistungen erbrächten, eine gute Ausbildung absolvierten und beruflich erfolgreich seien. Da sie aber häufig selbst nicht das deutsche Schulsystem durchlaufen hätten, könnten sie ihre Kinder nur bedingt beim Lernen unterstützen. Vorurteile seitens der Bildungseinrichtungen führten zudem oft dazu, dass Jugendliche unterschätzt würden und höhere Schulabschlüsse verwehrt blieben. Hinzu käme nicht selten eine schwierige finanzielle Situation, vor allem bei ehemaligen Gastarbeiter– oder Flüchtlingsfamilien, die eine Teilhabe an aufwändigen Aktivitäten außerhalb der Schulzeit erschwere und für die Jugendlichen damit eine Erfahrung des Ausgeschlossenseins von MitschülerInnen und FreundInnen bedeute. So würde eine Situation des Verzichts erzeugt, die neben materiellem Mangel auch sozialen Druck und das Gefühl von Marginalisierung bedeute.
Integration, so ein Fazit des lebendigen Vortrags Aslandurs, bedeutet für viele muslimische Jugendliche einen Spagat zwischen den häufig gegensätzlichen Erwartungsinstanzen Familie und Gesellschaft. Aslandur sieht in den zahlreichen Jugendlichen, die diesen Balanceakt bewältigen und selbstständig eine Identität aufbauen, die sich den gegensätzlichen Anforderungen stellt, sie aber gleichzeitig hinterfragt und darüber hinaus geht, wahre Multitaskingtalente und „Helden“ der Integration.
Der Vorsitzende des „Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe“ hielt einen optimistischen Vortrag, der Mut macht und der Erfolge der Integration in den Fokus rückt, die bei den gängigen Integrationsdebatten meist zu kurz kommen. Einzig ein Blickwechsel wäre an der einen oder anderen Stelle des Vortrags wünschenswert gewesen: Aslandur fragt nach den Leistungen der Jugendlichen und die an sie gestellten Anforderungen. Umgekehrt muss aber auch gefragt werden: Was müssen die deutsche Mehrheitsgesellschaft und die Familien leisten, um die häufig schwierige und konfliktreiche Situation junger muslimischer Menschen in Deutschland zu erleichtern?
Friederike Faust und Carolin Liebisch
Dezember 2011
Comments are closed, but trackbacks and pingbacks are open.