A|syl, das; –s, –e: < gr. –lat. »Unverletzliches«>: 1. Unterkunft, Heim (für Obdachlose). 2. a) Aufnahme u. Schutz (für Verfolgte); b) Zufluchtsort
Der Begriff „Asyl“ steht zunächst für eine sichere Unterkunft; dies kann sich zum Beispiel auf Obdachlose, aber auch auf Kranke beziehen. Asyl als Zufluchtsort für Personen, die aufgrund von Verfolgung einen geschützten Aufenthaltsort benötigen, hat seinen Ursprung in der vorantiken Zeit. Im Mittelalter wurde Asyl häufig von Klöstern gewährleistet (Kirchenasyl). Bis ins 20. Jahrhundert wurde immer wieder Dissidenten oder Andersgläubigen in einzelnen Staaten Asyl gewährleistet. Die Kriege und Systemkonflikte des 20. Jahrhunderts vermehrten die Fluchtgründe und damit auch die Zahl derer, die in anderen Staaten Asyl beantragten. Nach dem Zweiten Weltkrieg regelte die Genfer Flüchtlingskonvention den Rechtsstatus von Flüchtlingen. Demnach wird eine Person als Flüchtling gewertet, wenn sie aufgrund ihrer „Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ verfolgt wird. Die Konvention war zunächst geographisch auf die Flüchtlinge in Europa beschränkt und wurde erst in den 1960er Jahren ausgeweitet. Allerdings liegt es immer noch in der Hand der mittlerweile 141 Beitrittsländer, was für ein Asylverfahren den aufgenommen Flüchtlingen zukommt. In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Asyl als Schutz vor politischer Verfolgung im Grundgesetz verankert. Als Begründung dafür wurde häufig die Erfahrung des Nationalsozialismus genannt und die daraus entstandene historische Verantwortung, nach Mord und Vertreibung nun denjenigen Menschen, die in anderen Ländern von einem ähnlichen Schicksal bedroht waren, das zurück zu geben, was andere Staaten Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Deutschland gewährt hatten.
Der hohe Stellenwert, den das politische Asyl in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Erfahrungen im Nationalsozialismus genoss, wandelte sich jedoch mit der zunehmenden Einwanderung und Flucht nach Westdeutschland in den 1980er Jahren. Die vermehrten Ängste vor unkontrollierbarer Einwanderung, wirtschaftlicher Konkurrenz und kultureller „Überfremdung“ verstärkten sich im Zuge der erwarteten Flüchtlingswelle aus Mittel– und Osteuropa, die 1989 aufgrund des Falls des „Eisernen Vorhangs“ prognostiziert wurde. Bei der Ankündigung „Osteuropas neue Völkerwanderung“ (Der Spiegel 1992) wurde jedoch mit Zahlen hantiert, die eher Ängste schürten, als dass sie den Realitäten entsprachen. Zu Beginn der 1990er Jahre verschärfte sich diese Angst, gefördert durch prominente Vertreter aus Medien und Politik, hin zu einer offen fremdenfeindlichen Atmosphäre. Aus diesem Klima heraus kam es zu gewalttätigen Übergriffen, die sich vor allem gegen Asylbewerber richteten: Die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten stieg von 1991 bis 1993 beinahe auf das Dreifache an (von 2426 auf 6721). Der Begriff des „Asylanten“ wurde zum Schimpfwort für Personen, die ungerechtfertigter Weise und meistens mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Profit immigriert seien („Wirtschaftsasylanten“)
Europäisierung der Asylpolitik. Aufgrund der Einschränkung des Asylrechts in den 1990er Jahren und wegen der zunehmenden Europäisierung der Flüchtlings– und Asylpolitik hat die Zahl der Asylanträge in Deutschland kontinuierlich abgenommen (1992: 438 191; 2009: 27 649). Besonders die Bestimmungen des Schengener Abkommens sowie die Dublin II-Verordnungen haben dazu geführt, dass die Kontrollen an den EU-Außengrenzen verstärkt wurden. Zudem dürfen Flüchtlinge seit dem Dubliner Abkommen nunmehr nur noch in einem Land der Europäischen Union Asyl beantragen. Wird dieser Antrag abgelehnt, gilt dies auch für alle anderen EU-Mitgliedstaaten. Die von der Grenzagentur „Frontex“ und den Mitgliedstaaten technisch aufgerüsteten Außengrenzen dienen zu großen Teilen der „Bekämpfung der illegalen Migration“ nach Europa und machen es immer schwerer, in die Europäische Union zu gelangen. Solche Maßnahmen riefen und rufen bei Menschenrechtsorganisationen starke Kritik an einer „Festung Europa“ hervor.
Illegale Migration statt Asyl – der Wert eines Menschenrechts in der öffentlichen Wahrnehmung. Gegenüber den Begriffen „Flüchtlinge“ und „illegale Einwanderung“ sind Asylbewerber und –berechtigte in den letzten Jahren zunehmend in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Der Grund dafür liegt jedoch nicht in einem Rückgang weltweiter Flüchtlingsursachen, sondern in der, so der Migrationsforscher Serhat Karakayali, „faktischen Abschaffung des Asylrechts“ in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre und der infolge dessen zunehmenden Illegalisierung von Einwanderung sowie der Europäisierung von Asyl– und Flüchtlingsfragen. Hinzu kommt, dass die weltweite Zahl der Binnenflüchtlinge steigt, also derjeniger, die nach ihrer Flucht in derselben Region bleiben. Das alte Problem, dass Flüchtlinge über keine ausgeprägte politische Lobby verfügen, verstärkt diesen Umstand weiterhin. Gleichzeitig wurde der negativ konnotierte Asylbegriff der 1990er Jahre durch das europäische Bedrohungsszenario der sogenannten „illegalen Migration“ verdrängt. Häufig werden beide Begriffe durcheinander gebracht, was auch daran liegt, dass Flüchtlinge oft illegal einreisen müssen, um überhaupt Asyl beantragen zu können.
Unter dieser Entwicklung leidet die ursprüngliche Bedeutung von Asyl als sicherer, nicht verletzbarer Zufluchtsort: Erstens wird es immer schwieriger für Flüchtlinge, einen solchen Zufluchtsort zu erreichen. Zweitens wurde die Definition dessen, was ein sicherer Zufluchtsort ist, in den letzten Jahren zunehmend ausgeweitet. Drittens wird die individuelle Wahl des Ortes, an dem man Zuflucht ersucht, immer weniger möglich. Dass sich die Anerkennungsquote von Asylberechtigten in Deutschland in den letzten fünf Jahren zwischen 0,8 und 1,6 Prozent bewegte, macht darüber hinaus deutlich, dass die zuständigen Behörden dem Bedarf an Schutz nur in seltenen Fällen zustimmen. Asyl wird somit in der medialen und politischen Diskussion eher als politisches Problem denn als elementares Menschenrecht begriffen.
Angela Siebold, November 2010
Zahlen zu Flucht und Asyl
Flüchtlinge weltweit 2007: 16 Mio.
Binnenvertriebene weltweit 2007: 24 Mio.
Aufgenommene Flüchtlinge 2007:
Pakistan: 2 Mio.
Syrien: 1,5 Mio.
Iran: 964 000
Deutschland: 579 000
Jordanien: 500 000
Asylanträge in Europa
EU-27 2009:260 730
EU-15 1992: 670 000
Asylanträge in Deutschland
2009: 27 649
1992: 438 191