Kör|per, der; –s, — [von lat. corpus, Fleisch, Leib, Wesen, Gesamtheit] 1. Organismus eines Lebewesens, die Gesamtheit seiner Gestalt, Syn. Leib; 2. festes Objekt, das sichtbar, tastbar und räumlich begrenzt ist, Syn. Ding, Gegenstand; in symbolischer Bedeutung auch auf Kollektive anwendbar.
Wo Menschen sind, sind Körper. Sie spielen immer schon eine wichtige Rolle in verschiedenen Diskursen und Wissensbereichen. Während die Naturwissenschaften sich mit Beschaffenheit und Funktionsweisen des menschlichen Körpers beschäftigten, setzt sich die philosophische Richtung der Phänomenologie mit dem Körper als Ursprung von Erkenntnis und den Sinnen als Organen der Wahrnehmung auseinander. Seit einiger Zeit erfuhr der Begriff auch in den Geistes– und Sozialwissenschaften eine so hohe Konjunktur, dass sogar von einem Body Turn seit den 1980er Jahren die Rede ist, bei dem der Körper in seiner gesellschaftlichen und kulturellen Dimension im Zentrum steht.
Körper stellen eine Schnittstelle zwischen ‚Natur‘ und ‚Kultur‘ dar, es kreuzen sich an ihnen die Bereiche des Biologischen und des Sozialen. Dabei verschwinden die Grenzen von ‚künstlich’ und ‚natürlich’ zunehmend, sei es durch medizinische Entwicklungen, die die Veränderbarkeit von Körpern und deren Reproduzierbarkeit möglich machen, oder durch technische Prozesse und Wandel unserer Lebenswelt, die eine Erweiterung des Körpers im digitalen Raum mit sich bringen. Cyborgs schließlich versprechen eine post-humane Vision des Körpers in der Vereinigung von Maschine und Organismus.
Der Körperdiskurs ist in der abendländischen Tradition der griechischen Antike und des Christentums lange Zeit geprägt von einer dualistischen Anthropologie, die den Menschen in die zwei gegensätzlich verstandenen Komponenten von Körper und Geist (oder auch Seele) teilt. Mit dieser Zweiteilung einher geht eine Hierarchisierung, die den materiellen, ‚fleischlichen’ Teil der menschlichen Existenz gegenüber der immateriellen, das körperliche transzendierenden Komponente unterordnet. Obwohl sich seit der Aufklärung zunehmend die Sichtweise einer Verschränkung von Körper und Geist im Sinne einer nicht-teilbaren Einheit durchgesetzt hat, bleibt die Vorstellung der Polarität von Emotionen, Körperbedürfnissen und –funktionen einerseits und Vernunft und Verstand andererseits präsent. Sie lässt sich in der Geschichte der Disziplinierung des Körpers, der Tabuisierung körperlicher Handlungen und der zunehmenden Körper– und Affektkontrolle, die ihren Höhepunkt mit dem Aufstieg des Bürgertums im 18. und 19. Jahrhundert finden, nachvollziehen. In diesem von Norbert Elias als ‚Zivilisationsprozess’ bezeichneten Vorgang der kulturellen Konditionierung des Körpers werden Normen und Wertvorstellungen in körperlichen Selbstzwängen jenseits des Bewusstseins wirksam, als ‚Einverleibung’ kultureller Schemata in Form von körperlichen Gewohnheiten und Körperformen.
Der menschliche Körper ist ein soziales Konstrukt. Wie wir ihn wahrnehmen, was wir über ihn wissen und was wir an ihm schön oder hässlich finden ist nicht individueller Geschmack, sondern Ausdruck der gesellschaftlich anerkannten Wert– und Normvorstellungen. Schönheitsvorstellungen und die damit zusammenhängenden Körperbilder sind also keine oberflächliche Privatangelegenheit. Sie sind geprägt von politischen und wirtschaftlichen Machtstrukturen. Der moderne Nationalstaat ist seit seiner Entstehung an der Steuerung der Bevölkerungsentwicklung und der Kontrolle der Körper seiner Bürger_innen interessiert. Erst dadurch wird es möglich, abstrakte politische Ideale und Zielvorstellungen von der Ebene der Rationalität auf die der Gefühle und der Sinnlichkeit auszudehnen. Michel Foucault prägte dafür den Begriff der „Biopolitik“. Die individuelle Wahrnehmung des Körpers und die Arbeit die man in ihn investiert sind nicht ohne die dahinter liegenden biopolitischen Interessen zu verstehen.
Wie gesellschaftliche, politische oder ökonomische Systeme und Diskurse Körper hervorbringen und formen, zeigt sich darin, was als „behindert“ oder „normal“, was als „weiblich“ oder „männlich“ gilt. Machtstrukturen, seien sie klassenspezifischer, rassischer, geschlechtsspezifischer oder anderer Natur, schreiben sich so in die Körper ein. Die durch diese Strukturen und Diskurse geformten Körper wiederum reproduzieren diese Machtverhältnisse und verleihen ihnen den Anschein des natürlich Gegebenen. Durch diese Naturalisierung werden die historischen, kulturellen und sozialen Bedingungen von Körperdiskursen ausgeblendet.
So wird der Körper Austragungsort und zentraler Gegenstand von Rassismus, Sexismus, Homo– und Transphobie, von Lookismus und Bodyismus, denn all diese Merkmale anhand derer manche diskriminiert und andere privilegiert werden, sind Teil der körperlichen Erscheinung.
Corinna Assmann, Jan Diebold, Friederike Faust
Juni 2013