
Veranstaltungsbericht: Der mediale Blick auf Geflüchtete
Podiumsdiskussion im Rathaus Heidelberg, 11. Januar 2016
Danijel Benjamin Ćubelić – Moderation, schwarzweiss e.V.
Hadija Haruna-Oelker – Autorin und Journalistin, Hessischer Rundfunk; Neue Deutsche Medienmacher
Markus End – Politologe und Antiziganismusforscher
Sandra Müller – Redakteurin, Südwestrundfunk
Sebastian Riemer – Redakteur, Rhein-Neckar-Zeitung
Sulaiman Durrani – Übersetzer, Asylarbeitskreis Heidelberg e.V.
Ein:blick
Im Rahmen der Eröffnung der vom Heidelberger Verein „Wir für Flüchtlinge“ organisierten Fotoausstellung „Blick:Kontakte“ fand die Podiumsdiskussion „Der mediale Blick auf Geflüchtete“, eingeleitet von Michael Mwa Allimadi (Ausländer/Migrationsrat Heidelberg), vor erwartbar homogenem Heidelberger Publikum statt. Gemein ist den fünf Diskutant_innen aus verschiedenen Kontexten nicht nur die Beschäftigung mit dem Thema „Flucht“, sondern auch das Anliegen nach mehr Reflexion unter Medienschaffenden und –konsument_in-nen. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie und worüber berichtet werden sollte.
Recherchieren und Begegnen
Nachdem die Berichte um die Ereignisse der Silvesternacht in Köln sich überschlagen und es scheint, als würden der Öffentlichkeit ‚essentielle‘ Fakten bewusst vorenthalten, ist der Wunsch nach Transparenz und Gehörtwerden groß. Auf die Eingangsfrage nach den Arbeitsweisen von Journalist_innen antwortet der Redakteur Sebastian Riemer, Recherchen vor Ort und die Interviews mit Beteiligten hätten Priorität, gerade beim Ergründen von Behauptungen. Auch Sandra Müller, Redakteurin, hebt im Zusammenhang ihrer Reportage über das ‚(Zusammen)Leben in Meßstetten seit der LEA‘, das In-Kontakt-Treten und das Zuhören hervor. Immer wieder machte sie jedoch die Erfahrung, die auch Sebastian Riemer bestätigte, dass aus der Bevölkerung eingehende Meldungen sich weder verifizieren ließen, noch mögliche Zeug_innen zu einem Gespräch bereit seien. Dass eine unkritische Weitergabe solcher Meldungen schnell zu der Verbreitung grotesker Gerüchte führt, konnte man in Heidelberg in den letzten Monaten feststellen. Müller, Riemer und die Autorin und Journalistin Hadija Haruna erklären, Berichterstatter_innen sollten ihre Arbeit transparent(er) gestalten, ihre Quellen nennen und ebenso sagen können, dürfen und müssen, dass sie zu einem Sachverhalt noch keine Informationen hätten und daher auch noch nichts darüber berichten könnten. Auf diese Weise könnte auch der Vorstellung, die Medien verheimlichten etwas[1], entgegengewirkt werden.
Bezeichnungen und die Perpetuierung von Machtverhältnissen
Darauf aufmerksam geworden, dass die Diskutant_innen verschiedene Bezeichnungen – unabhängig der beiden Anerkennungsverfahren – für Menschen mit Fluchtbiographie verwenden, wurde kurz über die Begriffe Flüchtling und Geflüchteter diskutiert. Ein solcher Diskurs[2] sei aber eher alltagsfern und in den Hochschulen zu verorten, so ein Einwand. Markus End, Politologe und Antiziganismusforscher, wehrte den Applaus für diese Behauptung ab, indem er pointierte, es gehe eben nicht um einzelne Wörter, sondern um deren Konnotationen und die sich hinter bestimmten Wörtern verbergende Denkweise. So seien das Kompositum „Asylmissbrauch“ und die Bezeichnung „Asylant“[3] eindeutig negativ konnotiert; trotzdem ließen sie sich seit den 1990ern in den Medien finden. Aus diesem Grund fordert End die Reflexion von Begriffen, bevor sie verwendet und auf den Titelseiten großer Tages- und Wochenzeitungen oder Zeitschriften zu lesen sind und als selbstverständlich wahrgenommen werden können.
Rassismus
Rassismus ist in Deutschland strukturell verankert, er ist Teil des Alltagsgeschehens und findet unter anderem im Sprachgebrauch Ausdruck. Rassismen werden nicht als solche, sondern als ‚normal‘ angesehen und schreiben sich als rassistische Denkweisen fest, wie zum Beispiel in der Annahme „Frauen mit Kopftuch werden unterdrückt“. Debatten um Kindersendungen und Kinderbücher lösen Unruhen und Unverständnis aus. Es ist dieses beharrliche Unverständnis, welches auf rassistische Denkweisen schließen lässt. Haruna erläutert, wenn Kinder Wörter nicht mehr kennen, dann verschwänden nicht nur jene Wörter, sondern auch bestimmte affirmierende und diskriminierende Assoziationen. End statiert, wenn sich die Einwohner einer Stadt pauschal vor Nichtweißen fürchten, dann zeugt (auch) das von tief sitzendem Rassismus in unserer Gesellschaft. Die aktuellen, gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte gerichteten, Pogrome zeigen, dass Rassismus und „Fremden“hass nicht Geschichte, sondern Gegenwart sind.
Das Kontingenzbewusstsein und der zweite Blick
Rassismus ist im „Mainstream“ angelangt, so Markus End und daher müssten auch verstärkt die Berichterstattungen Kontexte und Diskurse einbinden. In diesem Sinne führen die Diskutant_innen den Begriff des „Kontingenzbewusstseins“ ein: Ein Bewusstsein dafür, dass Ereignisse auch anders sein können, als sie sich auf den ersten Blick zeigen. Dies treffe ebenso auf Abbildungen zu, beispielsweise solche, die das vermeintlich „muslimische Leben in Deutschland“ darstellen sollen. Hadija Harunas bezeichnende Erzählung über die verfehlte Berichterstattung um die Schießbude auf dem Münchner Oktoberfest 2014 zeigte die (oft verfehlten) Möglichkeiten reflektierten Berichterstattens. An besagtem Schießbudenstand konnte man Tonscheiben, auf denen Schwarze Menschen abgebildet waren, abschießen und dafür einen Preis bekommen. In einem Interview, das versuchte die sonderbare Praktik zu hinterfragen, erklärte der Schießbudenbesitzer, dass es sich um eine Tradition handle und er bestimmt kein Rassist sei, denn eine (ebenfalls rassistisch dargestellte) Judenfigur habe er schließlich bereits vor Jahren entfernt. Im Fall des Schießbudenstandes, so Haruna weiter, wurden der Besitzer des Stands sowie zufällige Besucher des Oktoberfests interviewt. Sonst niemand – keine schwarzen Menschen, keine Organisation, die sich mit Rassismus auseinandersetzt, keine Historiker_innen – niemand. Die indirekte Frage nach dem „zweiten Blick“ in diesem Kontext beantwortet Harunas rhetorische Frage ans Publikum: „Welche Stimme könnte in diesem Land noch zählen?“
Worüber Medien berichten sollten
Sulaiman Durrani, ehrenamtlicher Übersetzer des Asylarbeitskreises Heidelberg und aktiver Begleiter junger Geflüchteter, kritisiert die Fokussierung auf negative Berichte und die wenig differenzierte Berichterstattung. Durrani erzählt von dem Mut und der Zuversicht in den Gesichtern, die ihm bei seiner Arbeit begegnen. Aber auch von jenen, die zunehmende Angst vor rassistisch motivierten Angriffen äußern, denn auch sie wissen von brennenden Unterkünften. Er hebt die Bereicherung, die Geflüchtete für die deutsche Gesellschaft sind, hervor und wünscht sich verstärkt Berichte über Positives und die vielen „qualifizierten“ Geflüchteten.
Bereicherung
In der an die Podiumsdiskussion anschließenden offenen Diskussion, wurde dieser Aspekt aufgegriffen: Flüchtlinge sollten als Chance begriffen werden. Es ist die Rede von Arbeitsplätzen, die besetzt werden können – solche, die hierzulande niemand mehr besetzen möchte. Markus End lehnt diese Kosten-Nutzen-Rechnung ab, denn sie impliziere eine klare (und auch im wörtlichen Sinne zu verstehende) Wertung der Geflüchteten.
Bildung und Medienkompetenz
Der Vorschlag aus dem Publikum, verstärkt Medienkompetenz an Schulen und Bildungseinrichtungen zu „lehren“, betont das Desiderat nach Werkzeugen, mit welchen sich Medienberichte hinterfragen und interpretieren lassen, um Meinungs– von Faktenjournalismus zu unterscheiden. Müller resümierte daraufhin, dass ein erster Schritt bereits damit getan wäre, Nachrichten nur alle zwei Tage zu verfolgen, dadurch verpasse man vor lauter Nachrichtenwahn nicht das Leben, das sich vor der eigenen Türe abspiele. Man könne die gewonnene Zeit nutzen sich ein eigenes Bild über die Situation vor Ort zu verschaffen, anstatt im Strudel von Neuigkeiten zu ertrinken, die, wie im Laufe der Diskussion bemerkt worden sei, schließlich nach dem Prinzip Schreckensnachrichten und Absatz steigernde Schlagzeilen funktionierten.
Aus:blick
In den wenigsten Fällen gibt es nur die eine Perspektive[4] auf bzw. eine Meinung zu etwas. Meist ist es ein dialogartiges Zusammenspiel mehrerer, in dem die Reflexion und das Akzeptieren komplexer Zusammenhänge dienlich, wenn nicht sogar unabdinglich sind, um sich seine eigene Meinung zu bilden. So wünschen sich die die Diskutant_innen, dass das Menschsein in seinem Sosein in sich und dem Gegenüber Achtung findet. Dass die hochgelobten Werte der westlichen und vermeintlich aufgeklärten Welt endlich auch gelebt werden.
Februar 2016, Sissy Geider
[1] Die Dikussion wird oft unter dem Stichwort „Lügenpresse“ ausgetragen. Dazu: Der Begriff ist alt, erhielt spätestens im Dritten Reich einen braunen Beigeschmack. „Die „Lügenpresse“ war ein Lieblingswort von Joseph Goebbels. Er verwendete es, um Kritiker zu denunzieren“ http://www.taz.de/!5023884/; gleichsam wurde er vom Widerstand des Regimes verwendet, „Braune Lügenpresse“.
[2] Lesenswertes zu Diskurs, Diskurstherie und der Medienkultur: Ziermann, A. (2011). Medienkultur und Gesellschaftsstruktur: Soziologische Analysen. VS Verlag; Michel Foucault (1991). Die Ordnung des Diskurses. Fischer Taschenbuch.; Wodak, R. & Meyer, M. (Hrsg.) (2009).Methods of Critical Discourse Analysis. SAGE.
[3] In der Linguistik wird der Begriff “lexical hardening” verwendet, wenn (u.a. Ehlich 1989 in Mesthrie et al. 2010, 331) zwei Begriffe verknüpft und häufig wiederholt werden und dies dann zu einer (bleibenden) Assoziation führt. Das bedeutet, dass in der aktuellen Berichterstattung, z.B. „Flüchtlingswelle“ oder „-flut“, nicht nur mit einem Naturereignis in Zusammenhang gebracht werden, sondern dass dieses eben ein Negatives ist, eine Katastrophe und die assoziiert mit Geflüchteten assoziiert wird. Eine Flut überschwemmt Landstriche, Häuser und Menschen. Sie ist unaufhaltbar. Ähnlich der Flüchtlingsstrom, eine unaufhaltsame Wassermasse, die sich nur mit größter Anstrengung eindämmen lässt, diese Eindämmung muss durch den Menschen geschehen. Enden wird der Strom nicht von selbst. Diese Ausführung macht die negativen Assoziationen sichtbar und verdeutlicht die Wichtigkeit der Reflexion über die verwendeten Begriffe.
[4] Perspektive „stellt ihm [Nietzsche] zufolge eine Grundbedingung allen Lebens dar. Jedes Sehen, jede Erkenntnis, jeder Affekt gibt eine bestimmte Perspektive auf die jeweilige Sache frei.“ Holm Bräuer: Perspektivismus. UTB-Online Wörterbuch. http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?title=Perspektivismus&tx_gbwbphilosophie_main[entry]=666&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=cff83cff5627d57938e61d78389d5d65