Farbe ins Denken

Respekt ist nichts Kulturelles

Ein Kommentar zur Debatte um die Kölner Silvesternacht

Es gibt einen Tweet zu den Gewalt­ver­bre­chen gegen Frauen in der Köl­ner Sil­ves­ter­nacht, der seit Diens­tag­mor­gen in den lin­ke­ren Medien, auf anti­ras­sis­ti­schen Blogs und Alter­na­ti­ven wie­der­holt wird wie ein Man­tra: Mon­tag, den 6.1.2015 um 23.19 Uhr, schrieb die Poli­to­lo­gin und Netz­fe­mi­nis­tin Anne Roth: „Leute, die sich für den Schutz von Frauen nur inter­es­sie­ren, wenn wir von Aus­län­dern ange­grif­fen wer­den, sind Ras­sis­ten. Ob in Köln oder Kabul“. Ansons­ten brauchte es noch eine ganze Weile, bis auch von den grö­ße­ren Sei­ten Ein­schät­zun­gen und Kom­men­tare zu hören waren. Zu ver­mint das Gelände, zu kom­plex die The­ma­tik. Glück­li­cher­weise gibt es da aber die andere Seite, die sich gene­rell weder an Minen, noch an Kom­ple­xi­tät groß stört: zwi­schen „das Gesetz ist für alle da“- Rufen (uns war ent­gan­gen, dass in die All­ge­mein­gül­tig­keit deut­scher Gesetze eine Flücht­lings­klau­sel ein­ge­führt wurde) und „rape-culture jetzt neu­er­dings auch bei uns“ (dazu: (1)) immer wie­der die Behaup­tung: „Es ist mir egal, wel­che Natio­na­li­tät ein Täter hat, wel­che Haut­farbe oder wel­che Sprache“.(2)

Doch genau das ist es nicht. Es ist ihnen, den Retter_innen und Hetzer_innen des Abend­lan­des nicht egal, wo diese Täter her­kom­men. Wäre es das, würde es nicht zu Tode the­ma­ti­siert, in Über­schrif­ten, Angst machen­den Phra­sen und besorg­ten Wut­sät­zen. Denn besorgt sind sie. Aber nicht um die Frauen, die die mas­si­ven Atta­cken in der Sil­ves­ter­nacht in Köln überstanden(3) haben, deren Erleb­nisse the­ma­ti­siert wer­den müs­sen, denen wir zuhö­ren müs­sen, genau und gedul­dig – und die wir nicht über­tö­nen dür­fen mit unse­rem „Such-Den-Rassisten“- und „Wer-ist-Schuld-“Spiel (wenn­gleich die insti­tu­tio­nelle Schuld­frage durch­aus eine Inter­es­sante ist). Aber die Sorge der „Das Gesetz ist für alle da“-Schreier_innen gilt Ande­rem. Sie kommt von denen, die Angst haben, dass das „Alle“, wel­ches sie so wun­der­bar lange mit einem ein­sei­ti­gen „ich und mei­nes­glei­chen“ defi­nie­ren konn­ten, plötz­lich umde­fi­niert wird. Und sie kommt aus einer Ver­lust­angst, die so alt ist wie die kom­ple­xen Ver­schrän­kun­gen von Ras­sis­mus und Sexis­mus, die man nach­le­sen kann, in Quel­len und in Sekun­där­li­te­ra­tur .(4) Es ist eine Angst vor dem Ein­bü­ßen eines Kom­plex an Pri­vi­le­gien, den die wun­der­bare Ann Laura Sto­ler ein­mal ‚White Prestige‘(5) nannte – und der seit Kolo­ni­al­zei­ten weib­li­che Sexualität(en) instru­men­ta­li­siert, um ein „wir“ zu defi­nie­ren und zu erhal­ten, das pre­kär auf einem Gewirr aus Aus­gren­zung, Patri­ar­chy und Hier­ar­chien ruht. In die­sem Kom­plex ist Gewalt gegen Frauen beson­ders dann erwäh­nens­wert und ver­ach­tungs­wür­dig, wenn sie einen Angriff auf das ver­meint­lich ‚Eigene‘ (in die­sem Fall die ‚deut­sche Frau‘) dar­stellt, und wenn sie von dem ver­meint­lich ‚Ande­ren‘ (hier: der ‚nord­afri­ka­nisch aus­se­hende Mann‘) began­gen wird. Diese Rhe­to­rik, in der weiße deut­sche Frauen hilf­lo­ses, zu schüt­zen­des Leit­kul­tur­gut sind, ist wie­derum nicht weit ent­fernt von den gelinde gesagt empö­ren­den For­de­run­gen der Köl­ner Ober­bür­ger­meis­te­rin nach Ver­hal­tens­re­geln für eben­diese Frauen. Ohne hier genauer auf die Zusam­men­hänge von Geschlech­ter–Dis­kursen, ras­sis­ti­schen Hier­ar­chien und Primitivitäts-Zuweisungen(6) ein­ge­hen zu kön­nen, wür­den wir OB Hen­ri­ette Reker nach ihrer Auf­for­de­rung „Eine Arm­länge Dis­tanz [zu] halten“(7) an die­ser Stelle gerne eine Arm­länge an Leh­ren über die ver­hee­ren­den Fol­gen von victim-blaming erteilen.

Nein, es ist nicht egal, wer die Täter der Köl­ner Sil­ves­ter­nacht waren. Wenn wir ver­su­chen wol­len, zu ver­ste­hen was pas­siert ist und was die Frauen, die mutig Anzeige erstat­tet haben, in den Stun­den vor und um Neu­jahr erle­ben muss­ten, dann müs­sen wir auch die Hin­ter­gründe der Taten ver­ste­hen. Das ist keine Ver­harm­lo­sung von schwe­ren Sexual– und Gewalt­ver­bre­chen, son­dern unse­res Wis­sens nach gän­gige kri­mi­no­lo­gi­sche und juris­ti­sche Pra­xis (Lynch­jus­tiz und will­kür­li­che Recht­spre­chung haben wir ja inzwi­schen zumin­dest ein­ge­schränkt (8)). Nur, dass das schwam­mige ‚Kultur‘-Gerede in die­sem Verstehen-Wollen kei­nen Platz hat. Der Begriff ‚Kul­tur‘ redu­ziert, macht nicht nur gleich, was nicht gleich ist, son­dern nimmt letzt­end­lich auch den Tätern(9) alle Hand­lungs­macht (agency) und damit Ver­ant­wor­tung von ihren Täter-Schultern. Denn schließ­lich waren nicht sie und ihr bewuss­ter täter­li­cher Wille es, der Frauen beläs­tigte und beraubte, son­dern die ‚Kul­tur‘, die sie ach-so-anders macht und der sie anschei­nend so wil­len­los aus­ge­lie­fert sind(10) wie weiße Deut­sche vor etwa 80 Jah­ren ihren Regie­ren­den. Wenn das so hoch­ge­lobte deut­sche Gesetz also wirk­lich ‚für alle‘ da sein soll – dann dür­fen wir nicht ver­glei­chen, die von den Frauen erleb­ten Ver­bre­chen mit Oktoberfest-Parallelen(11) rela­ti­vie­ren, oder sie gar dazu auf­for­dern, ihr Ver­hal­ten in der Öffent­lich­keit zu ändern. Son­dern wir müs­sen fra­gen, was die­ser Gewalt zugrunde liegt und wie wir ihr begeg­nen kön­nen und müs­sen. Dazu gehört es genauso, den ‚nicht-weißer Mann ist immer gleich Flücht­ling ist immer gleich (Sexual-)Verbrecher‘-Reflex abzu­stel­len, wie zu fra­gen, wel­che Gründe es außer dem lee­ren und gefähr­li­chen Kultur-Begriff für Gewalt­aus­brü­che wie die in der Sil­ves­ter­nacht in Köln noch gibt. Diese Gründe rela­ti­vie­ren nicht, und sie stel­len das Erlebte nicht in Frage. Aber viel­leicht brin­gen sie uns ein klei­nes biss­chen wei­ter in der Ant­wort auf die Frage, was wir für eine Gesell­schaft tun kön­nen, die sich von Pau­schal­ur­tei­len genauso fern­hält wie von Sexis­mus und Gewalt gegen Frauen.

Almut Buech­sel, Januar 2016

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[1] http://www.taz.de/!5075574/

[2] http://nrwjetzt.de/aufschrei-0–0-wenn-die-feministische-empoerung-ausbleibt/

[3] Wie im Eng­li­schen bevor­zu­gen wir den Begriff Überlebende_r (sur­vi­vor) gegen­über dem vikti­mi­sie­ren­den „Opfer“, bzw. „Betroffene_r“

[4] Als Rund­um­schlag: Sto­ler, A. L. (1995): Race and the edu­ca­tion of desire. Foucault’s History and the Colo­nial Order of Things. Dur­ham: Duke Uni­ver­sity Press. Spi­vak ((1988). ‘Can the Sub­al­tern Speak?’ in C. Nel­son (ed.). Mar­xism and the Inter­pre­ta­tion of Cul­ture, (Basing­stoke: Macmil­lan Edu­ca­tion), pp. 271–315 und Abu-Lughod ((2002) ‘Do Mus­lim Women Really Need Saving? Anthro­po­lo­gi­cal Reflec­tions on Cul­tu­ral Rela­ti­vism and Its Others’, Ame­ri­can Anthro­po­lo­gist, 104:3, pp.783–790) sind auch immer gut.

[5] Sto­ler, A. L. (2002) ‘Car­nal know­ledge and impe­rial power’.In Sto­ler, Ann Laura, Car­nal know­ledge and impe­rial power : race and the inti­mate in colo­nial rule, Uni­ver­sity of Cali­for­nia Press, pp.41–78,

[6] Dafür: Mcclin­tock, A. (1995), Impe­rial Lea­ther. Race, Gen­der and Sexua­lity in the Colo­nial Con­test. New York, Lon­don: Routledge

[7] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016–01/koeln-hauptbahnhof-uebergriffe-henriette-reker

[8].https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Angriffen_auf_Fl%C3%BCchtlinge_und_Fl%C3%BCchtlingsunterk%C3%BCnfte_in_Deutschland#2015 Oder http://mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/chronik-vorfaelle

[9] Nicht nur Män­ner sind Täter. Aber da es sich in der Köl­ner Silvester-Nacht nach bis­he­ri­gen Erkennt­nis­sen um Täter han­delte, blei­ben wir hier bei der männ­li­chen Form.

[10] Zur Trias von Kultur/Agency/Schuld gibt’s was Schö­nes von Phil­lips, A. (2007) Mul­ti­cul­tu­ra­lism wit­hout Cul­ture, Prin­ce­ton: Prin­ce­ton UP. Und Pratt, M. L. (1985) ‘Scrat­ches on the face of the coun­try; or, what Mr Bar­row saw in the land of the bush­men’, Cri­ti­cal Inquiry (12), pp. 138–162.

[11] https://twitter.com/mlle_krawall/status/684135864029544448