
Ruanda 1994 — ein ethnischer Konflikt?
Eine historische Verortung des Genozids in Ruanda
Bereits im Herbst 1993, sechs Monate vor Ausbruch des Genozids in Ruanda, benannte die Süddeutsche Zeitung (SZ) die Konflikte in Ruanda als eine „Uralte Fehde zwischen Hutu und Tutsi“. Auch nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges wurde an dieser, scheinbar dem Konflikt zugrunde liegenden Einteilung des ruandischen Volkes in zwei Rassen bzw. später dann Ethnien, festgehalten. Eindrücklich zeigt dies der folgende Ausschnitt aus der SZ im Jahre 1994: „Das Entsetzliche: Menschen massakrieren sich offenbar nur, weil der eine Hutu, der andere Tutsi ist“. Und dass diese Differenzierung zwischen den beiden Ethnien auch heute noch Relevanz hat, wird deutlich, wenn die FAZ im November 2007 diese Ethnien erneut paradigmatisch aufgreift: „Hutu und Tutsi, diesmal im Kongo“.Ursprünglich bezeichneten diese Ausdrücke jedoch nicht primär biologisch-essentialistisch definierte, sondern vielmehr sozioökonomische Unterschiede. Während die einen sich dem Ackerbau (Hutu) widmeten, handelte es sich bei den anderen vornehmlich um Viehzüchter (Tutsi). Letztere konnten sich im Laufe der Zeit aufgrund ihrer ökonomisch begünstigten Position mehr politischen Einfluss sichern, wodurch sich über die Zeit ein soziales Gefälle zwischen den beiden Gruppen etablierte.
Während der deutschen Kolonialherrschaft machten sich die Besatzer dies zunutze. Die sozio-ökonomische Überlegenheit dieser Gruppe wurde durch sozialdarwinistische Theorien erklärt und damit zementiert. Die Tutsi übernahmen – vermittelt durch Mission und Schulbildung – die Fremdzuschreibungen der Kolonialherren. Zentral ist der Geschichtsmythos, der besagte, dass es sich bei ihnen um eine zugewanderte Volksgruppe handle, die den Hutu rassisch überlegen sei. Durch die Identifikation als Tutsi konnten sie ihre privilegierte Position legitimieren, welche sie durch die Kollaboration mit den Europäern weiterhin inne hatten. Es handelt sich also um einen komplexen Prozess, an dem sowohl Kolonialherren als auch Ruander beteiligt waren. Unter der späteren belgischen Kolonialherrschaft hat sich die Unterscheidung weiter manifestiert. Ab 1926 wurde die ethnische Zugehörigkeit eines jeden Ruanders in Personalausweisen schriftlich vermerkt. Doch die privilegierte Behandlung der Tutsi durch die Kolonialherren trieb einen nicht zu unterschätzenden Keil in die ruandische Bevölkerung, der bis in die postkoloniale Zeit fortwirkt. Seit der Unabhängigkeit des Landes und der Übernahme der Macht durch die Hutu, sahen sich die Tutsi Verfolgung, Vertreibung und Pogromen ausgesetzt, welche ihren vorläufigen Höhepunkt 1972 erreichten.
Diese sind zurückzuführen auf eine erneute politische Instrumentalisierung der ethnischen Unterschiede. 1994 nutzten die Hutu-Eliten das in den Köpfen der Bevölkerung mittlerweile festgesetzte Geschichtsbild aus der Kolonialzeit, um die Massen gegen diese zu mobilisieren. Ein wichtiger Grund dafür war sicherlich die Angst der Hutu vor der aufstrebenden Tutsi-Opposition. Diese entstand im Exil und gewann in Ruanda militärisch und politisch zunehmend an Einfluss. Der Ausbruch der organisierten Verfolgung der Tutsi und des Genozids hat unterschiedlichste Gründe und es ist schlichtweg falsch, für diese Ereignisse die monokausale Erklärung einer „uralten“ Fehde zwischen den verschiedenen Ethnien gelten zu lassen. Diese Erklärung ist nicht hinreichend, um die Ereignisse in Ruanda aus dem Jahre 1994 zu erfassen. Genauso wenig funktioniert die alleinige Rückführung der Konfliktgründe auf die Kolonialpolitik. Die deutschsprachige Presselandschaft begnügte sich allerdings lange Zeit mit diesen Erklärungsmodellen.
Maja Tschumi und Philmon Ghirmai
April 2009
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