
Sexismus erkannt, Sexismus gebannt?
Warum nicht-sexistisches Verhalten schwieriger ist als wir denken
Im Alltagsgebrauch wird Sexismus häufig als Synonym für sexuelle Belästigung verwendet. Doch hinter dem Begriff Sexismus verbirgt sich mehr als „Angrabschen“, „Betatschen“ oder anzügliche Bemerkungen. Es existieren sexistische Strukturen auf der Makroebene, die sich im institutionellen Gefüge niederschlagen. So führt beispielsweise die Koppelung von Sozialversicherungsleistungen an Einkommensniveau und Beschäftigungsdauer dazu, dass Frauen auf Grund ihrer unbezahlten Familienarbeit sowie unterbrochener Erwerbsläufe geringere Leistungen in Anspruch nehmen können. Hinzu kommt, dass Frauen im Vergleich zu Männern auf dem geschlechtssegregierten Arbeitsmarkt häufiger mit prekären Beschäftigungsverhältnissen zu kämpfen haben. Durch den Gender Pay Gap wird dieses Missverhältnis zusätzlich verschärft: Im Bundesdurchschnitt fällt der Verdienst von Frauen 23 Prozent niedriger aus als bei Männern (Stand 2009, Bundesfamilienministerium).
Die sexistische Diskriminierung besteht weiter in gesellschaftlichen Normen der Beziehungsführung, die auch gesetzlich eine Benachteiligung anderer Beziehungsformen als die der Ehe festschreiben. Neben steuerlichen Vergünstigungen für EhepartnerInnen beruht die gesamte Konzeption unseres Sozialstaates auf der klassischen Versorgungsehe. Diese sieht zwar den Mann nicht mehr als alleinigen Familienernährer vor, da doppelte Einkommen für die Sicherung des familiären Lebensstandards notwendig geworden sind. Doch führen die geringeren Rentenansprüche der Frau im Alter dazu, dass die Frau darauf angewiesen ist, dass ihr Ehemann mit Hilfe seiner Rente ihre strukturelle Benachteiligung im Sinne einer späten Versorgungsehe ausgleicht.
Die sexistische Struktur unseres institutionellen Gefüges spielt zusammen mit internalisierten Sexismen auf privater Ebene, die sich in Form von geschlechtsstereotypen Rollenerwartungen in vielfältigen Prozessen der Interaktion auf der Mikroebene zeigen. Von Menschen werden wegen ihres Geschlechts bestimmte Verhaltensweisen erwartet, die auf gesellschaftlichen Vorstellungen vom „Weiblichen“ oder „Männlichen“ beruhen. Diese Stereotype schränken die Handlungsfreiheit ein, abweichendes Verhalten wird sanktioniert. Dabei ist eine Täter/Opfer-Zuordnung überhaupt nicht möglich; denn es wirken Fremderwartungen und Selbstzuschreibungen so subtil, dass eine vermeintlich freiwillige Anpassung erfolgt – etwa bei Reparaturarbeiten, Kochen, Modebewusstsein, Dominanz und Sensibilität. Problematisch sind geschlechtsstereotype Rollenerwartungen deswegen, weil sie eine Hierarchisierung des Geschlechterverhältnisses mit sich bringen.
Titelbild des Ratgebers von Allan & Barbara Pease
Warum Männer immer Sex wollen und Frauen von der Liebe träumen. Ziel des Buches ist es, durch die Aufklärung über biologisch bedingtes Paarungsverhalten die Beziehungsführung zu erleichtern: Im Zuge des evolutionären Auftrags will der Mann seinen Samen möglichst weit verbreiten, wohingegen die Frau sich für den Nestbau Zärtlichkeit und Sicherheit wünscht. In dieser Sicht auf Sexualität wird geschlechterdifferentes Sexualverhalten konstruiert und naturalisiert.
Biologischer Determinismus als Rechtfertigungsstrategie
Obwohl die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau nur auf geschlechterdifferente Sozialisation zurückzuführen ist, wird dieses Phänomen unter Rückbezug auf biologisch-natürliche Kategorien erklärt. Vermeintliche Differenzen in Verhaltensweisen und Fähigkeiten werden auf diese Weise naturalisiert.
Wirkungsmacht konnten sexistische Biologismen deswegen entfalten, weil der naturwissenschaftliche Diskurs seit Beginn der Neuzeit unser Weltverständnis strukturiert. Als Frauen begannen ihre untergeordnete Stellung zu hinterfragen, diente die Naturalisierung von kulturellen Konstrukten dazu, die „weibliche Unterlegenheit“ zu beweisen. Pierre Bourdieu beschreibt dies in Die männliche Herrschaft als „zirkelhafte Kausalbeziehung“. Ganze Forschergenerationen arbeiteten sich daran ab, empirisch nachzuweisen, dass die Frau von Natur aus dem Manne untergeordnet sei.
Verbreitung findet dieser biologische Determinismus heute noch in den Büchern von Alan und Barbara Pease. Ihr Buch Wieso Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken können erschien mit einer Gesamtauflage von mehr als 10 Millionen Exemplaren. Das Ehepaar Pease erklärt darin mit populärwissenschaftlichem Anspruch, dass Frauen und Männer gar nicht anders sein können, als ihr biologisches Geschlecht es vorgibt. Sie belegen dies mit selbst durchgeführten Studien und verweisen auf Erkenntnisse der Neurowissenschaften.
Dabei berücksichtigen Pease und Pease nicht, dass bereits das Design ihrer Studien die Ergebnisse vorwegnimmt. Gehen sie doch in ihren Fragestellungen bereits von einer Unterschiedlichkeit von Mann und Frau aus, die sie monokausal auf evolutionär entstandene biologische Differenzen zurückführen. Hierbei lassen sie außer Acht, dass feststellbare Verhaltensunterschiede durch identitäre Selbst– und Fremdzuschreibungen entstehen. Diesen Denkfehler begeht das Ehepaar auch bei der Interpretation der Ergebnisse aus der Hirnforschung. Sie beachten nicht, dass unterschiedliche Gehirnstrukturen auf individuelle Lebenswege zurückzuführen sind und die Entwicklung der Synapsenverknüpfung nicht durch Hormone vorgegeben ist.
Bei der Analyse von sexistischen Erklärungsmustern fällt auf, dass ein Sexismus, der auf einem biologischen Determinismus fußt, Analogien zum Rassismus aufweist. Ebenso wie der biologisierende Sexismus zeichnen sich rassistische Denkweisen dadurch aus, dass von körperlichen Merkmalen auf vermeintliche charakterliche Eigenschaften geschlossen wird. Den Vorstellungen von der „schwarzen Seele“, dem „jüdischen Charakter“ und dem „Ewigweiblichen“ liegt die selbe Logik zu Grunde.
Ebenso wenig wie der Gegenrassismus keine Lösung sein konnte, führt auch ein Gegensexismus in eine Sackgasse. Eine bloße Umkehrung der Hierarchieverhältnisse behält die bestehenden Kategorien und die Logik der Ungleichwertigkeit bei. Die vermeintlich männliche Kommunikationsunfähigkeit anzuprangern und die angeblich weibliche Teamfähigkeit herauszustellen, verharrt weiterhin in sexistischen Denkmustern.
Nina Marie Bust-Bartels und Jasmin Tran für schwarzweiss
im un!mut
April 2010
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