
Speziesismus
Spe|zi|es|is|mus, der — [von lat. species, äußere Erscheinung; Vorstellung, Begriff; Art; Eigenheit und: specere, hinsehen; ansehen] 1. Bezeichnung für eine hierarchisierende Denkstruktur, welche auf der Annahme basiert, dass der Mensch allen anderen Spezies überlegen sei und das Recht habe, diese für seine Interessen auszunutzen. 2. Kritik an dem gegenwärtigen Umgang menschlicher Gesellschaften mit Tieren.
Der Begriff Speziesismus wurde in den 1970er Jahren von dem Philosophen Peter Singer und dem Psychologen Richard Ryder geprägt. Durch die Bezugnahme auf den biologischen Fachausdruck Spezies soll die zentrale Annahme des Konzeptes zur Geltung kommen, dass die Interessen der eigenen Art den Interessen der anderen Arten auf allen Ebenen vorgezogen werden. Der Ansatz kritisiert diese speziesistische Diskriminierung und lehnt die strikte Trennlinie, die zwischen Mensch und Tier gezogen wird, als ungerechtfertigt ab. Stattdessen betonen Vertreter_innen dieses Ansatzes die Ähnlichkeiten zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Arten, die in der Fähigkeit zu leiden begründet werden.
Das Verhalten gegenüber Tieren ist immer durch die Bilder geprägt, welche sich Menschen vom „Wesen“ der Tiere machen. In den ersten Jahrtausenden der menschlichen Geschichte war dieses Verhältnis vor allem durch überlebensnotwendige Zwänge bestimmt. Im europäischen Mittelalter setzte sich eine Interpretation der Schöpfungsgeschichte durch, nach welcher der Mensch das Recht zur Unterwerfung der Erde habe. Tieren wurde der Besitz einer „Seele“ abgesprochen. Dieses in Europa vorherrschende Bild eines „seelen-“ und gefühlslosen Lebewesens wurde während der Aufklärung noch verstärkt. Die scharfe Trennlinie zwischen Tier und Mensch wandelte sich von einem theologischen zu einem wissenschaftlichen Dogma. Der rasche technische Fortschritt führte dazu, dass Maschinen viele der Arbeiten verrichteten, für die bislang tierische Kraft genutzt wurde. Philosophen wie René Descartes erklärten, dem Zeitgeist folgend, Tiere zu hochkomplexen Maschinen, die man lebendig sezierte, um ihr „mechanisches“ Innenleben zu erkunden.
Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts ermöglichte auf der anderen Seite, Tiere nicht mehr nur unter dem Aspekt der Nützlichkeit zu betrachten. Der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika um sich greifende philanthropische Fürsorgegedanke der Verantwortlichkeit für Schutzbedürftige wurde auch auf nicht-menschliche Lebewesen ausgedehnt. Es entstanden zahlreiche Vereine, die sich für deren Schutz einsetzten.
In den 1970er Jahren bekam diese Bewegung durch die bereits erwähnten neuen philosophischen Ansätze eine große Dynamik. Während sich der klassische Tierschutz für eine Verbesserung der Nutzungsbedingungen einsetzte und weiterhin einsetzt, vertritt die Tierrechtsbewegung eine ganz andere Forderung: das Ende des paternalistischen Umgangs mit Tieren und damit die Aufgabe jeder Form von Nutzung durch den Menschen. Der Begriff Speziesismus wurde bewusst gewählt, um die Nähe dieser Diskriminierungsform zu Rassismus und Sexismus zu betonen. Argumentiert wird dabei, dass auch Frauen oder Sklav_innen lange Zeit elementare Rechte mit der Begründung, sie seien geistig weniger entwickelt, abgesprochen wurden. Da der Mensch biologisch den Tieren zugeordnet werden muss, ist die Betonung seiner Sonderstellung eine rein kulturelle Setzung. Daraus ziehen Tierrechtler_innen den Schluss, dass die Ausgrenzung von Tieren genauso willkürlich und beschränkt wie die von Frauen oder Sklav_innen ist. Sie sehen hinter diesen Phänomenen dieselbe Argumentationsstruktur, nach welcher Privilegien allein durch Gruppenzugehörigkeit begründet werden. Daraus wird die Forderung abgeleitet, dass kein leidensfähiges Lebewesen aufgrund seiner Andersartigkeit diskriminiert werden darf. An diesem Punkt setzt die Kritik an der antispezisesistischen Theorie häufig an. Es wird befürchtet, dass der Einsatz für Tierrechte und die „Aufwertung“ von Tieren zu einer Abwertung der Menschenwürde führen würde. Es geht allerdings nicht um gleiche Rechte für alle Arten bzw. das Übertragen von Menschenrechten, wie beispielsweise Meinungsfreiheit oder Wahlrechte, auf Tiere. Ziel ist es, die spezifischen Bedürfnisse von Tieren nicht zu verletzen und ihnen Rechte aufgrund ihrer Fähigkeit zum Empfinden von Leid und Freude zuzusichern.
Die Impulse aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen aufgreifend, entstanden die so genannten „Human Animal Studies“. Der Gegenstand dieser Forschungsrichtung sind die Beziehungen zwischen Mensch und Tier sowie die dabei wirksamen Machtbeziehungen. Festzuhalten bleibt, dass auch nach Industrialisierung und Urbanisierung vielseitige Kontakte zwischen Menschen und Tieren bestehen. Diese Beziehungen sind nach wie vor von hierarchisierten Verhaltens– und Denkmustern geprägt. Tierrechtler_innen wollen eine Reflexion dieser Diskriminierungsstrukturen gegenüber dem „Anderen“ anregen. Die Kulturwissenschaftlerin Carola Otterstedt fasst dies in die Worte: „Das sich verändernde Tierbild fordert somit eine soziale Kultur des Miteinanders, in der das Fremde als potenzielle Bereicherung erforscht und begrüßt wird.“ Das Ziel dieser Bewegung ist also ein Abbau von Diskriminierung nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch in den Beziehungen zwischen Menschen und Tieren.
Jan Diebold für schwarzweiss e.V.