
Studentische Migration
Was Studierende aus Kamerun nach Deutschland treibt
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts, als Kamerun eine deutsche Kolonie war, kamen junge Menschen aus Kamerun zur Ausbildung nach Deutschland. Einige arbeiteten in Hamburg als Hafenarbeiter. Auch adlige Familien, wie die Duala-Dynastien schickten ihre Zöglinge in die „Metropole“, damit sie das Denken der Europäer*innen verstehen lernten.
In der Bundesrepublik Deutschland waren kamerunische Studierende lange eine Seltenheit. Zwar holten Projekte der Entwicklungshilfe hin und wieder Afrikaner*innen für Workshops und Praktika nach Deutschland, um ihnen hier eine deutsche berufspraktische Ausbildung zu ermöglichen. Seit den 1990er Jahren hat sich das Bild verändert: Jährlich kommen zwischen 500 und 1000 junge Kameruner*innen nach Deutschland, 2009 waren 5363 Studierende aus Kamerun an deutschen Universitäten immatrikuliert. Selbst organisiert, ohne Entwicklungsprogramm. Inzwischen sind Kameruner in Deutschland die größte Gruppe der Studierenden aus Afrika südlich der Sahara und die elftgrößte Community ausländischer Studierender überhaupt.
Dabei sind offizielle Kooperationen zwischen deutschen und kamerunischen Universitäten immer noch selten, Stipendienprogramme fast eine Wunschvorstellung. Warum also Deutschland? Studenten an der Fachhochschule Kaiserslautern berichten über ihre Beweggründe: „In den 1990er Jahren“ erzählt Martin, ein Ingenieursstudent aus Kamerun „war es Mode, die Kinder ins Ausland zu schicken, auch für ärmere Familien.“ Die Gründe sind zunächst in der kamerunischen Innenpolitik zu suchen. Bis in die 1980er Jahre vergab der kamerunische Staat Stipendien, von denen Studierende gut leben konnten. Im Zuge der Wirtschaftskrise und Austeritätsprogramme von IWF und Weltbank der 1990er Jahre wurden diese abgeschafft und Studiengebühren eingeführt. Zahlreiche Studentenproteste, die gar in blutigen Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht endeten, erreichten keine Veränderungen. Um in dieser miserablen Arbeitsmarktsituation die Berufschancen zu erhöhen, schien ein Auslandsstudium als möglicher Ausweg.
Wenn man weiß, dass für französischsprachige Kameruner*innen, allein schon aus Sprachgründen, Frankreich die erste Adresse ist und für englischsprachige Großbritannien, fragt man sich, was diese jungen Menschen nach Deutschland zieht. „Mein Cousin ging nach Deutschland“, erklärt Martin, „weil es einfacher war, ein Visum zu bekommen als für Frankreich und weil man hier neben dem Studium jobben kann“. Ein Studentenleben in Europa zu finanzieren, ist in Kamerun nur für sehr wenige Familien möglich. Auch für Martins Familie wäre das nicht zu schultern gewesen, Deutschland war die zweite Option „Wir wussten, dass das Studium in Deutschland flexibel ist und man genügend Freiheit hat, um sich mit einem Studentenjob den Lebensunterhalt zu finanzieren.“
Die beliebtesten Fächer der kamerunischen Studierenden in Deutschland sind Ingenieurs– und Naturwissenschaften, beziehungsweise Mathematik, gefolgt von Sozial– und Rechtswissenschaften sowie Medizin. Als in den 1990ern IWF und Weltbank Strukturanpassungsprogramme verordneten und die Arbeitsplätze im Staatsdienst weniger wurden, verloren die bisherigen Spitzenreiter Jura und Politikwissenschaft an Attraktivität, technische Studiengänge, die auf Arbeitsplätze in der Wirtschaft vorbereiteten, stiegen in der Beliebtheitsskala. Für diese Fächer sind deutsche Universitäten weltweit bekannt. „Die Deutschen bauen, sind berühmt für ihre Technologie. Ich wusste, dass ich hier eine sehr gute Ausbildung bekommen kann.“ resümiert der Bauingenieurstudent Jean seine Überlegungen.
Jean wäre sowieso nicht nach Frankreich gegangen. „Frankreich kolonisiert uns noch immer.“ beschreibt Jean die postkolonialen Beziehungen zwischen Kamerun und Frankreich. Einige Kameruner sehen in den Beziehungen zu Deutschland ein Gegengewicht zur französischen Dominanz. Die deutsche Kolonialzeit, der eine britisch-französische Herrschaft folgte, ist schon länger her, die Generation, die den deutschen Kolonialismus miterlebt hat, lebt nicht mehr. Den meisten Kameruner*innen sind vor allem die bis heute erhaltenen Kolonialbauten bekannt, die aufgrund ihrer Haltbarkeit als Beleg für deutsche Ingenieurskunst angesehen werden. Fast jedes Kind kennt Bauten wie die „deutsche“ Stahlträgerbrücke über den Sanaga, einen der größten Flüsse des Landes. Die deutsche Botschaft fördert dieses Image, indem sie die baulichen kolonialen Überreste saniert und diese Renovierungsarbeiten als deutsch-kamerunische Kulturpolitik bezeichnet. Somit nährt sie den Mythos einer deutschen Kolonialzeit der Infrastruktur.
Seit 2003 ist die Zuwachsrate der studentischen Migration aus Kamerun zwar leicht gesunken, doch die strengeren Regelungen, die durch die sogenannte EU-Studentenrichtlinie 2004 eingeführt wurden, konnten der allgemeinen Aufwärtsentwicklung keinen Abbruch tun. Internationale Studierende, die nicht aus EU-Staaten kommen, müssen seitdem — allein um das Visum zu erhalten — 5000 Euro auf einem Sperrkonto der Deutschen Bank nachweisen, oder einen deutschen Bürgen. Inzwischen haben Kameruner*innen hier viele stabile Netzwerke aufgebaut. Beinahe an allen großen deutschen Universitäten bestehen Vereine kamerunischer Studierender. Diese Vereine helfen neuen Studierenden beim Einleben in die neue Umgebung. Oft übernehmen sie auch eine umfassende Beratung von Neuankömmlingen, die von deutschen Institutionen nicht angeboten wird. Das sei auch nötig, meint Eliane, eine Maschinenbau-Studentin denn „in der Ausländerbehörde sind sie nicht freundlich. Du gehst da schon mit Angst hin. Du hast Angst, dass du Probleme bekommen kannst, weil du einfach eine Prüfung in der Uni nicht bestanden hast, oder nicht genug Geld auf deinem Konto hast, und sie dir das Visum nicht verlängern.“
Viele der kamerunischen Vereine und Initiativen initiieren Wirtschafts– oder Entwicklungsprojekte in Kamerun, die mit deutschen Organisationen, Vereinen und Unternehmen vernetzt sind. „Hier arbeiten und dann Projekte in Kamerun von hier aus aufziehen“, scheint für viele eine Option zu sein, die ihnen ermöglicht, ihren erlernten Beruf auszuüben und gleichzeitig in regelmäßigem Austausch mit ihrem Heimatland zu sein und dort neue Entwicklungen zu initiieren. Einige verbinden mit solchen Kooperationsprojekten auch die Hoffnung, eines Tages nach Kamerun zurückzugehen und ein Unternehmen zu führen, das durch die Beziehungen nach Deutschland auf sicheren Füßen steht.
So ist es heute nicht mehr die deutsche Entwicklungshilfe, die Kameruner für ein Praktikum nach Deutschland „holt“, sondern Kameruner*innen entscheiden selbst, wohin sie gehen, und wie lange sie bleiben, um sich Wissen anzueignen, und ob sie damit eine Zukunft in Deutschland oder in Kamerun aufbauen möchten.
Caroline Authaler, Juni 2011
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