
Von „Schoko-Kriegen“ und demokratischen Befreiungskämpfen
Migrationspolitische Erwägungen als Maxime europäischer Afrikapolitik am Beispiel Libyens und der Elfenbeinküste
In den letzten Monaten wurde in der europäischen Öffentlichkeit viel über das Aufbegehren der Demokratiebewegungen in Nordafrika und Teilen der arabischen Welt gesprochen. Als Ausgangspunkt der Revolutionen gelten die Geschehnisse in Ägypten und Tunesien dargestellt. Der Bürgerkrieg in Libyen zwischen Machthaber Gaddafi und seinen GegnerInnen wurde seitens der westlichen Presse kurzerhand zu einem Teil dieser „Revolution“ erklärt. Dabei bleibt ein anderer Fall, der zeitlich vor diesen Ereignissen liegt, trotz einiger Parallelen unbeachtet. In der Elfenbeinküste führte das umstrittene Wahlergebnis bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2010 zu schweren Kämpfen. Die sich gegenüberstehenden politischen Lager des amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo und des Oppositionsführers Alassane Ouattara bezichtigten sich undemokratischer Methoden und mobilisierten ihre Anhänger. Ähnlich wie in Libyen herrschten in der Elfenbeinküste in der Folge bürgerkriegsähnliche Zustände. Dennoch ist die Berichterstattung der westlichen Presse viel stärker auf Libyen fixiert, das als Teil eines historischen Demokratisierungsprozesses verstanden wird. Die Elfenbeinküste erscheint dagegen als peripheres Geschehen. Um die unterschiedlichen Reaktionen Europas auf die Bürgerkriege in der Elfenbeinküste und in Libyen zu erklären, ist es notwendig die migrationspolitischen Erwägungen in den Vordergrund zu rücken. Ein Grund für diese unterschiedliche Berichterstattung liegt in der ungleich größeren ökonomischen Bedeutung Libyens als Ölexporteur. Ein weiterer entscheidender Unterschied ist die migrationspolitische Bedeutung des Mittelmeeranrainers für Europa. Noch im Januar 2011 verhandelte die EU mit Gaddafi darüber, die aus der EU abgeschobenen afrikanischen Flüchtlinge nach Libyen schicken zu dürfen. Dabei planten die EuropäerInnen trotz vorliegender Informationen über Mord und Folter in den libyschen Flüchtlingslagern, Libyen als sicheren Drittstaat anzuerkennen. Mit Beginn des Bürgerkriegs konnte Gaddafi die ihm zugedachte Rolle als Vorhof der „Festung Europa“ nicht mehr wahrnehmen. Zu den „klassischen“ Wirtschafts– und Elendsflüchtlingen kamen nun hunderttausende Kriegsflüchtlinge hinzu.
Der Konflikt in der Elfenbeinküste hat dagegen kaum migrationspolitische Bedeutung für Europa. Schon vor Beginn des Bürgerkrieges entsprach die Migrationssituation in dem westafrikanischen Land nicht der europäischen Vorstellung, dass alle MigrantInnen vom Süden in den Norden wandern. Stattdessen zog die exportstarke Landwirtschaft der Elfenbeinküste viele Menschen aus den Nachbarstaaten an. Auch der Bürgerkrieg führte zwar zu großen Flüchtlingsströmen, allerdings bewegten sich diese nicht in den Norden des Landes, sondern in die Nachbarstaaten.
Auf der einen Seite bestehen zwischen den Ursachen und Folgen der Bürgerkriege in Libyen und der Elfenbeinküste Ähnlichkeiten, etwa dass ein großer Teil der Bevölkerung für einen Regimewechsel kämpft. Auf der anderen Seite unterscheiden sich die Ereignisse in den einzelnen nordafrikanischen Staaten in der Zusammensetzung der regierungskritischen Bewegungen, ihren Zielsetzungen und ihren Mitteln. Dennoch werden letztere als ein Gesamtphänomen betrachtet. Ein Grund hierfür findet sich in der unterschiedlichen migrationspolitischen Bedeutung Libyens und der Elfenbeinküste. Während der Mittelmeeranrainer den vorgefertigten europäischen Vorstellungen und Ängsten einer unkontrollierten Süd-Nord-Migration entspricht, lässt sich dieses Bild auf das westafrikanische Land nicht übertragen. Deshalb ist ein gemeinsames Eingreifen in Libyen für die europäischen Staaten von größerer Relevanz. Dies wird legitimiert indem man dessen GegnerInnen zu demokratischen FreiheitskämpferInnen stilisiert. Während man das Ringen um politische Macht in der Elfenbeinküste als irrationale, ethnische Auseinandersetzung oder als „Schoko-Krieg“ darstellt, bei dem es um die Vorherrschaft über Kakaoplantagen gehe.
Migration ist global ein wichtiges Phänomen Faktor und wird dies trotz bestehender Eindämmungsversuche auch bleiben. Die genannten Beispiele zeigen, dass Migrationsbewegungen eine zunehmende Bedeutung für außenpolitisches Handeln und für die Suche nach BündnispartnerInnen bekommen werden. Wenn man dies weiter denkt, dann könnte es neben den erwarteten Kriegen des 21. Jahrhunderts um Ressourcen und kulturelle Vorherrschaft auch zu Migrationskriegen kommen.
Jan Diebold und Philmon Ghirmai, Juni 2011
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